Die Spikes von Corona spielen Doppelrolle

Die Entwicklung von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 ist längst nicht abgeschlossen, die von Medikamenten zur Behandlung der Virus-Infektion steht erst am Anfang. Erkenntnisse der Forschungsgruppe CORONAmem könnten diese Entwicklungszeiten verkürzen.

Prof. Dr. Milton T. Stubbs, Prof. Dr. Kirsten Bacia und Junior-Prof. Dr. Panagiotis Kastritis
Die CORONAmem-Initiatoren Milton T. Stubbs, Kirsten Bacia und Panagiotis Kastritis (v.l.) vor ihren Aufbauten für die Röntgenstrukturanalyse. © ZIK HALOmem

Nach über einem Jahr Corona-Pandemie kennt die Wissenschaft SARS-CoV-2 längst noch nicht in all seinen Facetten und neue Virus-Varianten kommen hinzu. Beinahe jede und jeder in der Bevölkerung kennt mittlerweile aus seinem Umfeld, wenn nicht aus eigenem Erleben, unterschiedliche Krankenberichte. Bislang ungeklärt ist die Frage, warum es symptomfreie Verläufe gibt, sowie schwere, gar tödliche Fälle nicht nur bei alten Patienten. „Da die schweren Escheinungsformen auch Menschen ohne Vorerkrankungen betreffen und solche, die nicht zu den Risiko-Gruppen gehören, liegt die Vermutung nahe, dass genetische Faktoren ein große Rolle spielen“, sagt Milton T. Stubbs, Direktor des Zentrums für Innovationskompetenz ZIK "HALOmem" in Halle (Saale). Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler untersuchen hier die Struktur und Dynamik von Membranproteinen, die für die Steuerung und Regulierung lebenswichtiger Funktionen im menschlichen Körper verantwortlich sind.

„Das Spike-Protein, dessen Corona-förmigen Auswüchse dem Virus seinen Namen geben, spielt im Infektionsprozess eine Doppelrolle“, sagt Stubbs. Zum einen sei es seine Aufgabe, den ACE2-Rezeptor  zu erkennen, denn dieser sei die Eintrittspforte für das Virus in die humane Wirtszelle. Zum anderen reguliere das Spike-Protein die Fusion mit der Zellmembran der menschlichen Wirtszelle.

Beobachtungen auf atomarer Ebene

Wenn es darum geht, das Spike-Protein des Corona-Virus bei seiner „Interaktion“ zu beobachten, kann das vom Bundesforschungsministerium geförderte ZIK HALOmem auch in doppelter Bedeutung gewichtige Kompetenzen einbringen. Hier stehen riesige Geräte für die modernen Verfahren der Röntgenkristallographie, Kryo-Elektronenmikroskopie, Fluoreszenzspektroskopie, Massenspektrometrie und Kernresonanzspektroskopie.

„Nach derzeitigem Wissensstand ist der Fusionsmechanismus innerhalb der Familie der Corona-Viren ähnlich“, sagt Stubbs, Professor für Physikalische Biotechnologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Vereinfacht ausgedrückt: Das Spike-Protein baut selbst die Brücke, mit der es an die Wirtszelle andockt. Dann setzt es dort sein Fusionspeptid frei, um in die Zelle einzudringen und sich zu vermehren. Um diesen Vorgang und die Folgeprozesse auf atomarer Ebene beschreiben zu können, fiel kürzlich der Startschuss für das BMBF-geförderte Projekt „CORONAmem – Molekulare Determinanten der differenziellen Wirtsanfälligkeit gegenüber SARS-CoV-2 am Eintrittspunkt“. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Fachgebieten Biochemie, Chemie und Physik werden das Fusionspeptid wortwörtlich unter die Lupe nehmen wie auch den ACE2-Rezeptor, der sich genetisch bedingt von Mensch zu Mensch unterscheiden kann.

Aufklärung über der Infektionsmechanismus

Das internationale Wissenschaftler-Team geht nun an die Arbeit. In drei Teilprojekten wird die Wechselwirkung von Spike-Protein-Varianten mit menschlichen Wirtsproteinen und Zellmembranen rechnerisch, biochemisch und biophysikalisch untersucht.

Wie sich die Wirtsproteine von Mensch zu Mensch genetisch unterscheiden, so sind auch die Lipidgemische der Wirtszellen individuell verschieden, da sie von Alter, Ernährung und Vorerkrankungen abhängen. Die Lipide der Zellmembran haben Einfluss auf den Transport und die Verteilung der Virusproteine. Und: Sie sind Bausteine für die sich vermehrenden Viruspartikel.

„Aufklärungen über den Infektionsmechanismus werden die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten weiter voranbringen, beziehungsweise deutliche verkürzen“, sagt der ZIK-Direktor. „Zudem können die Erkenntnisse Basis für personalisierte Methoden zur Behandlung und Prävention von Infektionen mit Corona-Viren – auch anderer, zukünftiger Arten – sein.“

Die Ergebnisse des CORONAmem-Forschungsvorhabens sollen kostenlos und frei zugänglich medial verbreitet und die dazu gehörigen Methoden, Modelle, Algorithmen und Untersuchungssysteme in offen zugängliche Datenbanken eingestellt werden.

WEITERE INFORMATIONEN