Digitalisierung tut gut!

Beim Innovationsforum Mittelstand „HelpCamps“ in Kamp-Lintfort wurde klar: Digitale Technologien können Menschen mit Handicap den Alltag erleichtern – durch kluge Ideen, mit kleinen Dingen und großer Wirkung.

In Nils Beinkes Unterricht geht es nicht um künftige Karrieren, sondern um Mädchen und Jungen mit Beeinträchtigung, für die jede selbständige Aktivität zum Glückserlebnis wird. Um diese Momente zu erreichen, brauchte der Sonderpädagoge aus Paderborn keinen Zauberstab, sondern nur einen 3-D-Drucker. Den bekam Beinke vom Förderverein seiner Schule. Und ging mit seinen Schülerinnen und Schülern auf Glückssuche: „Ein erstes Spiel – jeder suchte sich seinen Lieblingsheld in der Antike, auf dem Markt verfügbare Software verschmolz das jeweilige Gesicht der Person mit der antiken Figur, der 3-D-Drucker lieferte Heros am Fließband und lachende Mädchen und Jungen, die kaum mehr von Rechner und Drucker wegzubekommen waren!“, berichtet der Lehrer mit dem Computer-Gen.

Do it yourself

Auch wenn sich der Slogan "Do it yourself" nach Old School anhöre, so habe er dadurch den notwendigen Kick bekommen, unterstreicht Nils Beinke. In seinem Weblog "MakersHelpCare" zu lesen, gleicht einer fast unglaublichen Reise, die erst durch die heute auf dem Markt verfügbare digitale Technik möglich wurde: "Unter Do-it-yourself-Hilfsmitteln verstehe ich Alltagshilfen für Menschen mit Handicap, die es nicht auf Rezept vom Arzt gibt – beispielsweise ein flexibler Getränkehalter oder ein simpler Signalknopf, der vielleicht einen Rollstuhl nach links oder rechts dreht. Oder einfach ein Spielzeughuhn fröhlich gackern lässt." Da ist zum Beispiel auch die Einhandschere, die es durchaus im Fachhandel ab rund 50 Euro das Stück gibt. Für viele Menschen mit Beeinträchtigung ein lebensnotwendiges, aber teures Hilfsmittel, das mit Hilfe des Computers – verbunden mit einem Scanner – passgenau für die jeweilige Person auch vom 3-D-Drucker in kurzer Zeit produziert werden kann. Ohne lange Bestell- und Versandwege, direkt vor Ort verfügbar und auch verbesserbar.

Orthopädietechnik 4.0

Eine junge Frau baut die Taster-Knöpfe.
An dieser HelpCamps-Station wurden "Taster"-Knöpfe gebaut. Damit können Menschen mit Beeinträchtigung zum Beispiel einen Mausklick starten oder das Licht im Zimmer ein- oder ausschalten. © PRpetuum GmbH

Natürlich war es kein Zufall, dass eine wegweisende Veranstaltung des Innovationsforums schon im Dezember 2017 an der Bundesfachschule für Orthopädietechnik e.V. in Dortmund stattfand. Wer bei Orthopädietechnik heute noch immer kleine Werkstätten vor Augen hat, in denen es nach Leder, Leim und Holzspänen duftet, muss sich von diesem Bild sehr schnell verabschieden. Die Bedürfnisse der Menschen mit Beeinträchtigung gehen logischerweise mit unserer Zeit. Sie wünschen sich zum Beispiel Rollstühle mit Sitzheizung, Blindenstöcke mit 3-D-Sound oder auch umgebaute Spielecontroller für das Zocken mit Muskelschwäche.

Erste Wünsche hat die Branche bereits umgesetzt. Thomas Kropp vom großartig ausgestatteten FabLab auf dem Campus in Kamp-Lintfort verweist auf den Einsatz entsprechender digitaler Technik beispielsweise beim Anfertigen orthopädischer Schuhe, Sohlen oder auch Prothesen. Dabei werde mit einem heute verfügbaren marktüblichen Scanner der Fuß beziehungsweise das Bein millimetergenau erfasst und auf diese personifizierten Maße das benötigte Hilfsmittel beziehungsweise Modelle davon vom 3-D-Drucker hergestellt. Digitales Gipsen könne man das nennen, scherzt Thomas Kropp.

Lieblingsschuhe und digitale Küche

Daniel Bolt vom Unternehmen "Die Schuhleister" aus Köln setzt voll und ganz auf diese Personalisierung und Digitalisierung beim Herstellen der Lieblingsschuhe. Durch das Scannen der ganz persönlichen Fußmaße könne ein optimal passender Schuh entstehen. Die gesamte Herstellungskette basiere auf dieser Erkenntnis.

"Durch das Innovationsforum sind die Aufgaben nicht weniger geworden. Zum Beispiel eine Online-Plattform, auf der sich Maker und Menschen mit Beeinträchtigung vernetzen können, wollen wir zusammen mit den ‚HelpCamps-Makern‘ aufbauen", berichtet Cinderella Glücklich von der projektführenden matrix GmbH aus Düsseldorf. Sie, die selbst durch eine Gehbehinderung beeinträchtigt ist, hat die in Kamp-Lintfort entstandenen Ideen regelrecht in sich aufgesogen. Das auch in Kamp-Lintfort thematisierte "Kochen mit Handicap" könnte dank Digitalisierung in Zukunft auch für sie ein Genuss werden.