Eine Baurevolution

Deutschland erlebt einen Bauboom. Die Bauwirtschaft zählt mit einem Jahresanteil von rund 50 Prozent zu den Großverbrauchern an Rohstoffen und Energie. Kann diese Branche durch Carbonbeton mit integrierter Elektronik effizienter werden?

Stefan Uhlig liebt Klartext. Der Projektmanager des Cool Silicon e.V. in Dresden bringt Fakten gern auf den Punkt: „Seit mehreren Jahren belegen Forschung und Anwendung, dass Industriebeton, der mit Kohlenstofffasern und nicht mit Stahl bewehrt ist, viermal leichter und sechsmal tragfähiger ist.“ Deshalb seien beispielsweise Carbon-Betonplatten an Fassaden nur noch 2 Zentimeter dünn – im Unterschied zu den mindestens 8 Zentimeter starken klassischen Fassadenplatten mit Stahlbeton.

Die Baubranche hat diese Fakten sehr wohl registriert. Mit „C³ - Carbon Concrete Composite“ hat sich das größte aktuelle Forschungsprojekt des deutschen Bauwesens etabliert. Rund 160 Partner von Universitäten, Hochschulen, Forschungsinstituten, aber vor allem auch mittelständische Bauunternehmen sowie die wichtigen Fachverbände, stecken regelmäßig ihre schlauen Köpfe zusammen. Sie suchen die klügsten Antworten zum Beispiel auf die Frage: Wie kommt modernste Elektronik in Mikro- und sogar Nanogröße in den Beton?

Kohlenstofffasern im Carbonbeton ergeben ein Muster.
Die leichten Kohlenstofffasern bekommen im Beton eine geometrische Struktur. © PRpetuum GmbH

Leuchtender Brückenschlag

Beeindruckende Beispiele dieser „Baurevolution“ sind schon heute zu erleben. Sandra Gelbrich, Professorin an der TU Chemnitz, nennt einige prägnante Beispiele: die Notenschlüsseln nachempfundene Fassade der neuen Hamburger Elbphilharmonie und nicht zuletzt die Wabenbrücke am Chemnitzer Stadtbad: „Gerade hier konnten wir den Beweis erbringen, dass Bauen mit Carbonbeton ein ästhetischer Gewinn ist und die völlig neue Integration von kluger Elektronik möglich macht.“ Clou dieser Brücke sind „Waben“, die beim Betreten im warmen Licht aufleuchten und so den Fußgängern den Weg weisen. Aufgestickte Sensoren im Inneren seien dabei eine der Innovationen, die das möglich machen. Dabei entstehe das Erlebnis, dass man seine Spuren auf der Brücke hinterlässt. Und ein wichtiges Gefühl von Sicherheit.

Trendforscher Andreas Schanzenbach gab zu Protokoll: „Die Megatrends der Digitalisierung sind schon da. Jetzt müssen wir die wichtigsten für uns markieren.“ Beste Beispiele dafür seien die Oslo Airport City als künftiger Energieerzeuger oder die Shanghai-Tram, die nur noch weiße Linien, aber keine Schienen mehr brauche.

Betonelement mit rot leuchtendem LED-Licht
Funktionalisiertes Betonelement mit LED-Licht. © PRpetuum GmbH

Anspruchsvolle Technik

Die Workshops auf der Abschlussveranstaltung des Innovationsforums „CoolCarbonConcrete“ in den Dresdner Technischen Sammlungen brachten es klar zum Ausdruck: Technisch möglich ist vieles – was aber macht Sinn, was will der Markt?

Sensoren sind dabei die modernen „Zauberer“. Sie können und sollen künftig wie selbstverständlich in das Gelege aus Kohlenstofffasern im Beton integriert werden. An dieser Stelle „eingepflanzt“ können sie messen, was es zu messen gibt: Temperatur, Feuchtigkeit, Dichte, Druck, elektrische Leitfähigkeit, Lichtstärke, Bewegung. Sie werden Signale senden, Befehle empfangen und ausführen.

Dass zwei wichtige Elemente für die neue Technologie existentiell sind, war den rund 70 Teilnehmern im Dresdner Osten rasch klar: Strom muss in den Beton und wahrscheinlich auch die Glasfaser für ultraschnelle Datenübertragung. Schließlich will man in Zukunft nicht erst den Lichtschalter suchen, sondern das Licht soll sofort aufleuchten, wenn man sein Büro oder seine Wohnung betritt. Und die Heizung nicht erst dann wohlige Wärme verbreiten, wenn man auf dem Smartphone die passende App findet.

Drängende Forschung

Wie lange aber hält ein Sensor durch? 80 Jahre, wie ein Gebäude? Wie werden die neuen Qualitätsstandards definiert und wer setzt sie durch? Wird es eine industrielle Vorfertigung geben und wer setzt die Maßstäbe? Welche Qualifikation braucht künftig der Bauhandwerker für die neue Technologie? Und wer übernimmt die Weiterbildung? Was kann überhaupt noch vor Ort repariert werden? Wie organisiert man künftig das Entsorgen des Carbonbetons mit eingebauter Elektronik?

Ein wichtiges Ergebnis des Innovationsforums: Alle diese Fragen bringen die innovative Idee für modernen Carbonbeton mit integrierter Elektronik nicht ins Wanken, sondern sie können beantwortet werden: „Nicht alle bis morgen oder übermorgen, aber entscheidend ist der erste Schritt, mit dem wir uns heute auf den Weg machen“, macht Stefan Uhlig deutlich.