Enzyme reagieren anders als gedacht

Enzyme beeinflussen maßgeblich den Zellstoffwechsel. Proteinforscher aus Halle haben nun eine Methode der Kryo-Elektronenmikroskopie entwickelt, mit der sie die Struktur und Aktion von Enzymkomplexen in atomarer Auflösung betrachten können.

Professor Panagiotis Kastritis
Juniorprofessor Panagiotis Kastritis ist Experte am Kryo-Elektronenmikroskop. © ZIK HALOmem

Das Wissenschaftsmagazin „Cell Reports“ gehört zu den weltweit führenden Fachzeitschriften. Wer darin veröffentlicht, hat wahrlich Sensationelles mitzuteilen – so wie die Forschungsgruppe „Kryo-Elektronenmikroskopie von membrangebundenen Protein-Nanomaschinen“ am ZIK HALOmem in Halle an der Saale. Panagiotis Kastritis leitet das Team von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, das jetzt die Struktur eines besonders großen Enzymkomplexes aufklären konnten. In Fachkreisen erregten sie damit Aufsehen, da sie erstmals beobachteten, dass die verschiedenen Enzym-Untereinheiten im Verbund anders funktionieren als einzeln. Aber auch außerhalb der Fachwelt dürfte diese Erkenntnis von Interessen sein, da sie hilft, Krankheiten besser zu verstehen. Denn wenn Enzyme als sogenannte Biokatalysatoren wichtig für den Zellstoffwechsel sind, dann sind sie – wenn sie nicht richtig funktionieren – auch für Störungen verantwortlich.

„Ohne unser Kryo-Elektronenmikroskop hätten wir diese komplexe organische Struktur nicht in ihrem natürlichen Zustand betrachten können“, sagt Kastritis. Die Kryo-Elektronenmikroskopie lockte den gebürtigen Griechen 2018 vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg ans „Zentrum für Innovationskompetenz HALOmem – membrane protein structure & dynamics“ nach Halle. Das ZIK wird vom Bundesforschungsministerium gefördert, ebenso die Anschaffung des Kryo-Elektronenmikroskops, unter dessen Einsatz am Charles-Tanford-Proteinzentrum der Martin-Luther-Universität (MLU) Halle-Wittenberg Forschung in atomarer Dimension betrieben wird.

Studie vom BMBF gefördert

Die Kryo-Elektronenmikroskopie gehört zu einem relativ jungen Forschungsfeld. Mit der Technologie arbeiten bislang nur wenige Hochschulen in Deutschland. Panagiotis Kastritis hatte sich als Postdoktorand am EMBL in Heidelberg Kompetenzen auf diesem Gebiet erworben. In Halle beobachten er und sein Team Proteine in ihrer Interaktion mit Enzymen, die Stoffwechselstörungen verursachen können.

Im Fokus haben sie einen Enzymverbund mit dem Namen Pyruvat-Dehydrogenase-Komplex. Das ist ein sehr großer Multienzymkomplex, der zur Energiegewinnung aus Kohlenhydraten benötigt wird. „Die Pyruvat-Dehydrogenase-Komplexe verschiedener Organismen sind sich sehr ähnlich“, sagt Juniorprofessor Kastritis und dass sein Team aktuell mit dem Zellextrakt aus einem Pilz arbeitet. „Bisher hatten wir den Enzymkomplex in seine Einzelteile zerlegt. Unter Anwendung der Kryo-Elektronenmikroskopie haben wir nun eine neue Methode entwickelt, mit der wir einen großen Multikomplex in seiner Gesamtheit erforschen können“, erklärt Kastritis. Aus all den ermittelten Daten wurde ein Strukturmodell erstellt. Zu diesem Zweck konnte Kastritis die Technische Universität Berlin als Partner für die Studie gewinnen, die ebenfalls vom BMBF gefördert wird.

Krankheiten besser verstehen

Die neue Methode der Aufklärung von Enzymstrukturen könne dabei helfen, so Kastritis, zahlreiche Krankheiten besser zu verstehen. Bei Alzheimer zum Beispiel sei unter dem Kryo-Elektronenmikroskop zu sehen, dass die Anzahl der Enzymverbünde reduziert ist. Ebenso können Viren solche Reduzierungen bewirken oder die Funktion der Enzyme stören. Kastritis nennt Hepatitis C- und Influenza-Viren als mögliche Verursacher.

„Wenn wir die natürliche Struktur der Enzyme kennen, können wir auch winzige Veränderungen sehen und verstehen, warum eine chemische Reaktion in der Zelle nicht mehr richtig abläuft. Dieses Wissen könnte auch die Grundlage für neue Therapieformen sein“, meint Panagiotis Kastritis. Und: Auch Corona-Viren würden sich mit ihren Spike-Proteinen an Enzyme der menschlichen Zelle binden. Hier wollen die Hallenser Wissenschaftler herausfinden, ob sich die Enzym-Rezeptoren der Menschen genetisch unterscheiden und dies eine Ursache für die unterschiedlich schweren Krankheitsverläufe sein könnte.

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