Rindfleisch, Radwege und kulturelle Identität

Zahlreiche Dörfer und kleine Städte prägen das nördliche Brandenburg und Vorpommern. Das WIR!-Bündnis „Regionalisierung 4.0" aus Eberswalde setzt auf neue Beschäftigungsmöglichkeiten durch Ansiedlung und Ausbau regionaler Produktionsbetriebe.

Eine Menschengruppe steht im Wald.
Durch naturnahen Tourismus eine sinnstiftende Beziehung zur Region schaffen. © HNEE/ Moreaux (2014)

Der Nordosten Deutschlands ist ländlich geprägt und durchaus hübsch anzuschauen. Doch bisweilen trügen Schönheit und Idylle: Die Region hat mit Abwanderung und schlechter Versorgung der dort wohnenden Menschen zu kämpfen. Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde hat Akteure aus den Bereichen Landwirtschaft und Ernährung, dem naturnahen Tourismus und der Infrastrukturentwicklung zusammengeführt. Gemeinsam wollen sie die strukturschwache Region aus sich selbst heraus attraktiver machen und stärken. Dazu wurden im ersten Schritt die Konflikte und Spannungsfelder der Region herausgearbeitet. „Wir haben es hier mit sogenannten closed shops zu tun. Das sind Gruppen von Alteingesessenen und Hinzugezogenen, die sich zwar gegenseitig wahrnehmen aber nicht gegenseitig unterstützen“, erklärt Heike Walk von der Hochschule Eberswalde. Und es würden überwiegend Produkte konsumiert, die nicht aus der Region kämen. Hinzu komme, dass die wenigen Produzenten, die es gibt, schlecht ausgestattet seien, so die Politologieprofessorin, die sich mit gesellschaftlichem Wandel und organisatorischen Strukturen auseinandersetzt.

Partizipation und Kommunikation

Der angestrebte Strukturwandel in der Region soll durch bessere Vernetzung und partnerschaftliches Wirtschaften herbeigeführt werden. Das berührt viele Lebens- und Arbeitsbereiche. So entwickelt das Bündnis Ideen, um möglichst viele Menschen in der Region anzusprechen und zu aktivieren: Politische Entscheidungsträger sollen sich im Bereich regionaler Ernährung engagieren; Dorfspaziergänge sollen das Bewusstsein für die Region und deren Produkte steigern; leerstehende Gebäude sollen wieder genutzt werden, um Menschen in dünnbesiedelten Gebieten zu versorgen, indem unterschiedliche Angebote unter einem Dach gemacht werden; Praktika in regionalen Betrieben sollen vor allem junge Menschen für die Produkte aus der Region sensibilisieren; und Beratungsstellen für alternative Geschäftsmodelle sollen zu einer innovationsfreundlichen Kultur beitragen.

Regional produzieren und konsumieren

Neben Partizipation und Kommunikation will das WIR!-Bündnis auch den Konsum von Fleisch aus der Region anregen. Hierzu wurden Kontakte zu Kantinen hergestellt, die die Gemeinschaftsverpflegung auf regionale Produkte und Gerichte umstellen wollen. Auf den Tisch kommt Rindfleisch von Tieren aus artgerechter Weidehaltung. „Um ökonomisch tragfähig zu sein, wollen wir wieder das ganze Tier verarbeiten“, berichtet die Agrarökonomin Henrike Rieken von der Hochschule Eberswalde. Ihr Ziel ist sinnstiftendes Produzieren und Konsumieren von Lebensmitteln.

Radfahrer im Wald
Der Radweg als Bildungsstätte – erfahrbar machen was auf den Tisch kommt. © HNEE/ Becht (2015)

Einen weiteren Beitrag zum Strukturwandel in der ländlichen Region soll der naturnahe Tourismus leisten. Die Region ist ein Paradies für Radfahrer. „Wenn ich als Tourist dort unterwegs bin, will ich etwas über die Tierhaltung und über die Produkte der Gegend erfahren“, sagt Kerstin Lehmann, Leiterin des Transferzentrums an der Hochschule Eberswalde. „Wir können durch Digitalisierung am Radweg erfahrbar machen, was auf den Tisch kommt.“

Kulturelle Identität

Laut einer Umfrage wünschen sich 60 Prozent der jungen Menschen in ländlichen Regionen eine erfüllende Arbeit, wollen eine Familie gründen und gesund leben. „Wir haben die Rahmenbedingungen, um diese Bedürfnisse zu erfüllen“, sagt Steffi Schneemilch, die sich im Bereich Regionalmanagement der Hochschule Eberswalde engagiert. Für sie sind „digitale Innovationszentren die Knackpunkte der Wertschöpfung“. Hier könnten Dienstleistungen auf dem Lande angeboten und gebündelt werden, um lange Wege in größere Städte zu vermeiden – und das Leben im heute strukturschwachen ländlichen Raum zu einer echten Zukunftsperspektive zu machen.

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