Weltpremiere für Lucy

Großer Bahnhof an der kleinen Station Schlettau in Sachsen: Mit Hilfe der 5G-Technologie fuhr Triebwagen „Lucy“ zum ersten Mal ferngesteuert. Damit gelang dem WIR!-Bündnis „Smart Rail“ ein Durchbruch bei der Digitalisierung des Bahnverkehrs.

Menschenleerer Führerstand des Testtribwagens "Lucy"
Leerer Fahrerplatz: "Lucy" fährt ferngesteuert in den Bahnhof Schlettau ein. © PRpetuum GmbH

So sieht das neue digitale Zeitalter der Eisenbahn aus? Ein unscheinbar weißer Lieferwagen? Und hunderte Meter davon entfernt ein fast normaler Triebwagen? Oder ist das schon Programm? Vorbei die Zeit der Riesenstellwerke und Rechentechnikmonster? Auf alle Fälle! Zumindest, wenn es nach Sören Claus geht. Der Technische Leiter des WIR!-Bündnisses „Smart Rail Connectivity Campus“ unterstreicht bei der Weltpremiere einer ferngesteuerten Bahnfahrt außerhalb von U- oder S-Bahnsystemen die visionäre Bedeutung dieses Tages: „Mit unseren über 100 Projektpartnern rücken wir eine Botschaft in den Fokus: Durch die neue 5G-Technologie ist jetzt telekommandiertes Bahnfahren möglich.“ Dabei gehe es im Moment nicht um das flächendeckende Zugfahren ohne Lokführer, sondern um erste praktikable Anwendungen – beispielsweise bei den täglich hundertfach anfallenden Rangier- und Überführungsfahrten auf dem Schienennetz.

Thomas Kaiser sitzt vor der mobilen Fernsteuerung
Thomas Kaiser steuert "Lucy" mit digitaler Technik aus seinem mobilen Führerstand. © PRpetuum GmbH

Der Lokführer im Koffer

Wenn es nicht so innovativ wäre, wäre man im ersten Moment fast enttäuscht. Thomas Kaiser stellt im unscheinbaren „RailDrive-Mobil“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) einen silberfarbenen Koffer auf den Tisch, klappt ihn auf und es werden sichtbar: zwei Bildschirme und wenige Schalter zum Fahren des Triebwagens. Er betätigt den Startknopf, auf den Bildschirmen erscheinen das Echtzeit-Kamerabild aus dem Führerstand von „Lucy“ sowie wichtige technische Daten des Fahrzeugs – aktuell und ebenfalls in Echtzeit. Schon nach wenigen Sekunden ist Thomas Kaiser der Triebfahrzeugführer. Von hier aus kann er jetzt den Motor starten, die Bremsprobe durchführen, alle wichtigen Daten checken, das Hupsignal auslösen, die Türen schließen und abfahren. Seine Signale überträgt ein rund 40 Meter hoher Antennenmast, vollbepackt mit neuster 5G-Technologie, in Echtzeit ohne Verzögerung an den Triebwagen.

Lucy ist anders

Natürlich ist „Lucy" kein normaler Triebwagen, auch wenn sie auf den ersten Blick mit zwei Fahrerständen und rund 80 Sitzplätzen kaum außergewöhnlich erscheint. Lucy stammt aus dem 1990er-Jahren und erlebt heute ein Wunder: Ein ausgeklügeltes System aus Rechentechnik, Kameras und Sensoren machen aus dem schnöden Triebwagen ein Bahnfahrzeug der digitalen Extraklasse. Doch daran muss man sich erst gewöhnen: Kein Lokführer sitzt auf seinem Platz. Dennoch werden hörbar die Bremsen gelöst, und mit sanfter Beschleunigung nimmt „Lucy“ ihre Premierenfahrt auf. Sie endet nach einigen hundert Metern. Die Bremsen verrichten lautlos und ruckelfrei ihren ferngesteuerten Dienst. Applaus, die Weltpremiere ist geglückt!

Annaberg-Buchholz wird Innovationscampus

Beeindruckend ist auch die Liste der wichtigsten Partner dieses Projekts: zum Beispiel die Universitäten in Chemnitz und Dresden, die Deutsche Bahn, Vodafone, Thales und das IAV Institut für Auto und Verkehr. Schon aus dieser verkürzten Aufzählung lassen sich wichtige Ziele des „Smart Rail Connectivity Campus“, ein im Rahmen des WIR!-Programms vom Bundesforschungsministerium gefördertes Bündnis, ableiten. Es geht ums Ganze: um unsere Mobilität in den kommenden Jahrzehnten, um kluge und smarte Angebote, die uns sicher und schnell von A nach B bringen. Mit „Lucy“ ist ein wichtiger Schritt dorthin geglückt. Wie es weitergehen wird, darüber diskutieren Fachleute und Nutzer in Annaberg-Buchholz bei einer mehrtägigen „Rail and Mobility User Conference“. Die Bahnwelt wird ab jetzt die alte Bergstadt nicht aus dem Auge verlieren.

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