Die Verwandlung der Fliege zur Türklinke
Gegenstände aus Insekten – „insectmatter“ beteiligt sich mit Exponaten an der Sonderausstellung „Zukünfte – Material und Design von Morgen“ im GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig. Das Besondere der Ausstellungsstücke: Das Chitin als Basis für den Biokunststoff kommt aus regionaler Insektenproduktion.
Mit der Sonderausstellung „Zukünfte – Material und Design von Morgen“ will das GRASSI Museum in Leipzig zeigen, wie wichtig Designerinnen und Designer sind, wenn Forschung und Industrie Produkte für die Zukunft entwickeln. „Aus diesem Grund sind wir gefragt worden, ob wir uns mit Exponaten beteiligen“, sagt Ina Turinsky. Sie ist Künstlerische Mitarbeiterin an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Die sachsen-anhaltische Hochschule für Kunst und Design ist Partner im Projekt „insectmatter“. Im Rahmen des Bündnisses „BioZ – Biobasierte Innovationen aus Zeitz und Mitteldeutschland“ will „insectmatter“ kreislauffähige Produkte aus Insektenchitin entwickeln und modellhaft herstellen. Das Bündnis wird vom Bundesforschungsministerium durch die Programmlinie „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ gefördert.
Im GRASSI Museum präsentieren die insectmatter-Partner den Werdegang der Schwarzen Soldatenfliege zu Garn, zur Tischleuchte und zur Türklinke. „Unser Ausstellungsbeitrag verdeutlicht, wie sich Forschung, Industrie und Gesellschaft vernetzen“, sagt Ina Turinsky. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen von der BURG haben die Konzeption und den Aufbau der Exposition übernommen.
Chitin aus regionaler Insektenzucht
Die studierte Industriedesignerin kommt zunächst auf den gesellschaftlichen Aspekt von „insectmatter“ zu sprechen: „Ökologische Veränderungen auf unserem Planeten und aktuelle Kriege prägen unsere Zeit. Daher wollen wir untersuchen, wie uns Materialien und Produkte aus heimischen nachwachsenden Rohstoffen krisensicherer und die Lieferketten anpassungsfähiger machen.“ Konkret geht es um Chitin. Der Stoff kommt u.a. in den Gerüsten und Skeletten von Krustentieren vor und wird wegen seiner Festigkeit zur Herstellung von Biokunststoffen genutzt. Der Nachteil: Das derzeit hierzulande eingesetzte Chitin wird aus asiatischen Ländern importiert. Es stammt hauptsächlich aus den Schalen von Garnelen.
Das Unternehmen madebymade in Pegau bei Leipzig betreibt eine industrielle Insektenzucht. Speziell aus der Schwarzen Soldatenfliege stellt es proteinhaltiges Tierfutter und Naturdünger her. Die Larve der Schwarzen Soldatenfliege häutet sich mehrmals, bevor sie sich verpuppt und nach etwa zehn Tagen die Fliege schlüpft. In diesen Entwicklungsetappen wird jedes Mal chitinhaltiger „Abfall“ erzeugt, der bislang noch nicht verwertet wird. Im Rahmen des „insectmatter“-Projektes soll er für die Herstellung von Biokunststoff eingesetzt werden.
Ina Turinsky zeigt auf drei Schälchen mit Pulver aus getrockneten Larvenhüllen, aus getrockneten Kokons und Fliegen-Gerüsten. In allem ist Chitin enthalten, das sich aber in dieser Form noch nicht verarbeiten lässt. Bündnispartner BioLog Heppe aus Landsberg stellt aus dem Chitin den technisch verwertbaren Stoff Chitosan her.
Chitosan zu Gold gesponnen
Ein weiterer Bündnispartner ist die NIG Nahrungs-Ingenieurtechnik. Das Unternehmen aus Magdeburg entwickelt Verfahren zur Gewinnung und Verwendung natürlicher Farbstoffe und löst aus dem Chitosan den natürlichen Farbstoff Melanin heraus. Welche Farbtöne von hellbraun bis schwarz daraus hergestellt werden können, wird auf dem insectmatter-Ausstellungstisch an Wachsmalstiften gezeigt.
Die nächste Station am Tisch ist das Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleitungswerkstofftechnik der Technischen Universität Dresden. Das ITM hat aus dem Chitosan der Kokons ein goldglänzendes Garn gesponnen, aus dem wegen seiner antientzündlichen Wirkung u.a. medizinische Textilien wie Wundauflagen gewebt werden können.
Materialien für Massen- wie auch Trendprodukte
Bei der Türklinke angelangt erzählt Ina Turinsky von den BurgLabs, die sich mit material-technologischen Fragen beschäftigen: „Wir haben Chitosan in verschiedenen Materialkombinationen ausprobiert.“ Ein Gemisch aus Chitosan und regionaler Weizenkleie habe sich als optimales Material herausgestellt. Im Pressverfahren könne daraus energie- und zeitsparend zum Beispiel eine Türklinke hergestellt und in einem speziellen Flüssigkeitsbad wieder aufgelöst werden. Das Produkt aus Chitosan zirkuliert somit in einem regionalen Wertschöpfungskreislauf.
Das Lab-Team hat sich zudem noch einem Trendprodukt zugewandt und eine recycelbare Gastro-Tischleuchte entworfen. Deren wasserabweisendes, nicht so leicht entflammbares Material ist ein Verbundstoff aus Chitosan und Fasern aus Recyclingpapier und der Futterpflanze Silphie. Das Elektromodul lässt sich abtrennen und in einer nächsten Lampe wiederverwenden, bzw. fachgerecht entsorgen.
Die Exponate zeigen nicht nur, dass das Chitin aus Asien durch Chitin aus heimischer Insektenproduktion ersetzt werden kann. Die Designerinnen und Designer der BURG haben daraus darüber hinaus Produkte entwickelt, deren Bestandteile sich sortenrein recyceln lassen.