Algenwirkstoff im Test gegen häufige Augenerkrankung : Datum:

Die Altersbedingte Makuladegeneration (AMD) ist die häufigste Ursache von schwerer Sehbehinderung und Erblindung. In Deutschland sind etwa 7,5 Millionen Menschen von der Augenerkrankung betroffen. Ein Wirkstoff aus Algen gibt Hoffnung.

Der Zuckertang „Saccharina latissima“ enthält die sogenannten Fucoidane, die bei der Behandlung von Altersbedingter Makuladegeneration helfen könnten.
Der Zuckertang „Saccharina latissima“ enthält die sogenannten Fucoidane, die bei der Behandlung von Altersbedingter Makuladegeneration helfen könnten. © Kieler Meeresfarm

Mit einem Missgeschick fing alles an. Eine Doktorandin von Professorin Dr. Alexa Klettner vertauschte Gefäße und setzte deshalb bei einem Versuch versehentlich die falschen Antikörper ein. Doch Alexa Klettner reagierte gelassen und fragte: „Und was ist dabei herausgekommen?“ Die vermeintlich unbrauchbaren Ergebnisse brachten sie auf die Idee, einen Wirkstoff aus Algen genauer zu untersuchen.

Der getestete Wirkstoff gehört zur Gruppe der Fucoidane. Diese langkettigen Zuckermoleküle stammen aus Braunalgen und enthalten unterschiedlich viel Schwefel in Form von Sulfatgruppen. „Es gibt nicht nur ein Fucoidan“, betont Alexa Klettner. „Die verschiedenen Fucoidane unterscheiden sich zum Beispiel darin, wie lang und wie sehr sie verzweigt sind.“ Das Besondere: Sie zeigen unterschiedlich starke Wirkungen gegen Ursachen der Altersbedingten Makuladegeration.

Bisher nur wenig Behandlungsmöglichkeiten

Die Altersbedingte Makuladegenation ist bei Menschen ab etwa 50 Jahren weit verbreitet. Bei dieser Erkrankung wird die Netzhaut an der schärfsten Stelle des Sehens, der Makula, geschädigt. Im schlimmsten Fall führt sie zu einer schweren Sehbehinderung bis Erblindung. „Die Frühform sieht man bei augenärztlichen Kontrollen der Netzhaut, bevor man selbst Probleme bemerkt“, so Prof. Klettner. Doch sowohl das frühe Stadium als auch die verschiedenen Spätformen der Krankheit sind bisher nur begrenzt behandelbar.

Wirksam gegen mehrere Ursachen

Eine bekannte Ursache der AMD sind bestimmte Wachstumsfaktoren („VEGF“). Der Körper produziert sie selbst, da er sie unter anderem zur Bildung neuer Blutgefäße braucht. Doch bei der AMD kommen die VEGF wahrscheinlich in zu großen Mengen vor. Bisherige Wirkstoffe zur Behandlung der AMD hemmen deshalb die Ausschüttung der VEGF. Doch diese Wirkstoffe haben klare Nachteile. Sie können erst in der Spätform der Erkrankung eingesetzt werden. „Außerdem machen sie die VEGF komplett platt, dadurch kann die Netzhaut kaputt gehen“, erklärt Alexa Klettner.

Hier geben Fucoidane Hoffnung. Auch sie hemmen die Ausschüttung der Wachstumsfaktoren, sind aber milder in der Wirkung, weshalb die Netzhaut weniger leidet. Ein weiterer Pluspunkt: Fucoidane wirken auch gegen weitere Ursachen der Augenerkrankung. Aus Sicht von Alexa Klettner besitzen die Algenwirkstoffe noch einen wichtigen Vorteil: „Fucoidane könnten schon in der Frühform eingesetzt werden, so dass sich die Spätform möglichst gar nicht daraus entwickeln kann“.

Prof. Dr. Alexa Klettner leitet das Projekt „FucoKiel“. An der Universität Kiel hat sich die Biologin auf die Augenheilkunde spezialisiert.
Prof. Dr. Alexa Klettner leitet das Projekt „FucoKiel“. An der Universität Kiel hat sich die Biologin auf die Augenheilkunde spezialisiert. © privat

Das Projekt „FucoKiel“ soll nun das perfekte Fucoidan aus regionalen Algen der Ostsee finden. Es wird vom BMBF im Rahmen des WIR!- Bündnisses „BlueHealthTech“ gefördert, das Meeresforschung und Medizin in der Region Kiel zusammenbringt. Das gesuchte Fucoidan sollte chemische Eigenschaften besitzen, die es besonders wirksam gegen die AMD-Auslöser machen. Dazu zählen ein hoher Gehalt des namensgebenden Einfachzuckers “Fucose”, viele Sulfatgruppen und ein hohes Molekulargewicht. 

Zusammenarbeit von Augenkunde, Pharmazie und Algenzucht

Zuckertang aus der Kieler Meeresfarm
Zuckertang aus der Kieler Meeresfarm © Kieler Meeresfarm

Die biozertifizierte Kieler Meeresfarm baut den Zuckertang „Saccharina latissima“ an. Aus früheren Projekten ist bekannt, dass diese Algenart für die Suche nach dem optimalen Wirkstoff sehr gut geeignet ist. Denn die darin gefundenen Fucoidane besitzen die passenden chemischen Eigenschaften. Außerdem lässt sich diese Alge im Gegensatz zu anderen getesteten Arten vor Ort kultivieren und muss nicht wild geerntet werden.

Seit zwanzig Jahren arbeitet Prof. Dr. Susanne Alban mit Ostseealgen. Fucoidane und ähnliche Substanzen untersucht die Direktorin vom Pharmazeutischen Institut der Universität Kiel unter anderem in Hinblick auf entzündliche Erkrankungen. Gerade, als sie sich in einem Gespräch über AMD informierte, bekam sie einen Anruf von Prof. Klettner, die von ihrer Expertise gehört hatte. Das war der Startpunkt für die Zusammenarbeit in einem Vorläuferprojekt von FucoKiel.

Prof. Dr. Susanne Alban ist Expertin für die pharmazeutische Biologie an der Universität Kiel. Im Projekt „FucoKiel“ arbeitet Sie eng mit der Projektleiterin Prof. Dr. Alexa Klettner zusammen.
Prof. Dr. Susanne Alban ist Expertin für die pharmazeutische Biologie an der Universität Kiel. Im Projekt „FucoKiel“ arbeitet Sie eng mit der Projektleiterin Prof. Dr. Alexa Klettner zusammen. © Christoph Coers

In FucoKiel extrahiert das Team von Prof. Alban die Fucoidane aus dem Kieler Zuckertang und versucht, ihre Eigenschaften weiter zu verbessern. Dazu bestimmt es auch die genaue Zusammensetzung und untersucht einige Wirkungen. An der Klinik für Ophthalmologie der Uniklinik Kiel testet das Team von Projektleiterin Prof. Dr. Alexa Klettner, wie wirksam die verschiedenen Fucoidane in Experimenten zur AMD sind. Die Ergebnisse meldet es zurück an die Pharmazie.

Im FucoKiel Projekt soll gezeigt werden, dass die Fucoidane auch im lebenden Organismus gegen Auslöser der AMD wirken. Die ersten Tests finden noch an Zellen statt, die bei der Erkrankung als erstes kaputt gehen, aber von den Sehzellen dringend gebraucht werden. Alexa Klettner nennt sie deshalb auch „Hausmeisterzellen“. „Eine Sehzelle ist eine Diva, die nur singt, wenn alles perfekt ist. Die „Hausmeisterzelle“ wuselt um sie herum und sorgt dafür, dass alles funktioniert, dass genug Nährstoffe da sind und der Müll weggeräumt wird.“

FucoKiel läuft noch bis Juli 2026. Die langfristige Vision von Alexa Klettner ist ein zugelassenes Medikament, das vielen Menschen helfen könnte.

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