Blockchain mit Bodenhaftung : Datum:
Die Blockchain-Technologie könnte ein weltweites Netz ohne Monopole schaffen, private Daten schützen und eine transparente Wirtschaft ermöglichen. Einige spannende Ideen dazu entwickelt ein Innovationsbündnis im mittelsächsischen Mittweida.
Die Blockchain-Entwicklerinnen und Entwickler haben sich Großes vorgenommen: Mit ihren elektronischen Registern für digitale Daten (siehe Infokasten) fordern sie die etablierten Protagonisten der Plattformökonomie heraus, darunter Google, Apple, Meta und Amazon. Es ist ein Duell zwischen zentralen Schauplätzen und dezentraler Architektur, zwischen Abschottung und Offenheit, zwischen Silicon Valley und Mittweida.
Mittweida? Auf den ersten Blick passen die revolutionäre Technologie und die beschauliche Kleinstadt in Mittelsachen nicht so recht zusammen – auf den zweiten Blick dann aber doch. So findet man in der 14.356-Einwohner-Stadt ein umfangreiches Bündnis von Akteuren mit großer Lust, scheinbar Normales einmal anders zu sehen. Meinungsstarke Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschule Mittweida, der Stadtverwaltung, der Volksbank, der Wirtschafts- und Entwicklungsgesellschaft und weitere 60 Partner entwickeln gemeinsam Ideen für alltägliche Blockchain-Anwendungen. Sie nennen das die „Blockchain-Schaufensterregion Mittweida“, die als „WIR!“-Bündnis vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.
Digitale Testamente
„Als Hotspot für das Web 3.0 brauchen wir eine Blockchain Academy, die weltweit Beachtung findet“, sagt Mario Oettler von der Hochschule Mittweida. „Dazu suchen wir die besten Softwarespezialisten und Blockchain-Ingenieure aus dem In- und
Ausland für die Region zwischen Dresden und Chemnitz.“ Mit deren Kompetenz soll eine dezentrale Lernplattform entstehen, die auf einer Blockchain basiert. Sie soll flexibel und intuitiv für professionelle Anwenderinnen und Anwender, aber auch für die interessierte Bevölkerung funktionieren. Blockchain müsse aus der Spezialisten-Ecke heraus, findet Mario Oettler. Dann würden viele verstehen, was diese Technologie alles besser kann, als die gegenwärtig nutzbare Software der kommerziell dominierenden Tech-Giganten.
So könnte uns Blockchain künftig einige Dinge erleichtern. Denn auch wenn wir es uns immer wieder vornehmen: Wichtige Dokumente sind oft in Papierform ungeordnet in Mappen oder Schachteln verstaut. Ähnlich unsystematisch abgelegt sind oft digitale Daten für den Zugang ins Online-Banking, für die Interaktion in sozialen Medien, Clouds, Apps und für das Handling von Smart Homes. Darum zerbricht sich seit dem letzten Sommer das Leipziger Start-up Memoresa den Kopf über Blockchain-basierte Vollmachten, die im Todesfall schnell und zuverlässig wirksam werden. Zu den Projektpartnern gehören unter anderem die Wiener Städtische Versicherung und Signal Iduna.
Praktiziert wird die Blockchain-Technologie schon auf dem Memoresa-Portal. Hier gibt es erste Anwendungen für eine sichere digitale Dokumentenorganisation. „Miet- und Handyverträge, Versicherungen, Online-Zugänge und Testamente werden gemäß der Datenschutz-Grundverordnung abgelegt“, erklärt Memoresa-Gründer Steffen Stundzig. „So wird es beispielsweise für Hinterbliebene möglich, rechtssicher, ohne aufwendiges Hinzuziehen eines Rechtsbeistandes und ohne persönliches Risiko bestehende Verträge zu beenden. Dafür werden auf dem Portal die Verträge mit einem verbindlichen Kündigungswunsch versehen, sofern der jeweilige Vertragspartner eine Kündigung via Vollmacht akzeptiert hat.“ Das sei vor allem im Todesfall, nach schweren Unfällen oder bei Krankheit mit eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit hilfreich.
Doping verhindern – Kommunikation fördern
Marc Ritter verfolgt andere Interessen. Der Professor für Medieninformatik an der Hochschule Mittweida nimmt eSports-Veranstaltungen in den Fokus. Denn ein ärgerliches und doch realistisches Thema dabei ist das „Doping“ im virtuellen Raum. Dabei geht es nicht um leistungssteigernde chemische Stoffe, sondern z. B. um den nicht sichtbaren Wechsel von Spielerinnen und Spielern oder das Nutzen digitaler Hilfsmittel zum eigenen Vorteil. „Unser Lösungsvorschlag heißt ‚xBloks‘“, sagt Marc Ritter. „Die Identität der Spieler soll als digitaler Fingerabdruck gesichert werden, so dass eine Manipulation ausgeschlossen ist.“ Damit werden spielerspezifische Eigenschaften und Profile hinterlegt, die beim Training entstehen und dokumentiert werden. Stellt das Blockchain-basierte System im Wettkampf markante Veränderungen des Verhaltens fest oder entdeckt neue technische Komponenten, schlägt es Alarm. „Mit xBloks knüpfen wir spielerisch Kontakt zu jungen Männern und Frauen, die eSports treiben“, betont Ritter. „Das ist eine prima Gelegenheit, über Blockchain und seine vielfältigen Anwendungen ins Gespräch zu kommen.“
Einen wiederum anderen Schwerpunkt setzt Matthias Vodel, der an der Hochschule Mittweida Software für Medien- und Anwendungssysteme entwickelt. Er wünscht sich „ein digitales ,Blockchain-basiertes Auftragsbuch für ein Miteinander von Jung und Alt in der Region Mittweida“. Mit einer selbsterklärenden Benutzeroberfläche und mehreren Kommunikationskanälen können Projekte für das aktive soziale Miteinander von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen initiiert, gefördert und dokumentiert werden. Denkbar seien gut organisierte Nachbarschaftshilfen, die Weitergabe gebrauchter Dinge, schnelle Spendenaktionen oder das Vorbereiten von Festen. Einfach so. Ohne Riesendatenbank und Webmaster. Schlicht von Rechner zu Rechner. Offen für alle. Made in Mittweida.