Inkubator brütet spannende Ideen aus : Datum:
Technische Textilien zählen zu den innovativsten Branchen. Jetzt ist ihre Zeit für große Neuentwicklungen. Damit die nah dran sind am Bedarf, begleitet ein futureTEX-Inkubator innovative Ideen auf dem Weg von der Forschung in die Praxis.
Über Jahrhunderte hat die ostdeutsche Textilindustrie namhafte Produkte hervorgebracht – Plauener Spitze etwa ist weltbekannt. Kleidung wiederum wird in Asien mittlerweile billiger hergestellt. So muss sich die hiesige Traditionsbranche neu erfinden und konzentriert sich auf die Textilforschung, die sich immer mehr auch als Materialforschung versteht. 2014 ging das vom Bundesforschungsministerium geförderte Zwanzig20-Konsortium futureTEX an den Start. Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt das Netzwerk aus Wirtschaft und Wissenschaft die ostdeutsche Textilindustrie in ihrem Wandlungsprozess zum Global-Player auf dem Markt der technischen Textilien, der Vliesstoffe und Composites.
Für die Textilbranche ist dies die große Zeit neuer Erfindungen. Doch wie anwendungsnah sind die Ideen? Wie wahrscheinlich ist deren Markterfolg? Manchmal geht eine Neuentwicklung am tatsächlichen Bedarf vorbei, weil die potenziellen Anwender nicht rechtzeitig in den(Er)Findungsprozess einbezogen werden. Auch das futureTEX-Konsortium muss sich diesem Problem stellen. Vor zwei Jahren rief es deswegen einen „Inkubator für technische Textilien und disruptive Produkte“ als Pilotprojekt ins Leben.
Mit der Double Diamond-Methode zum Erfolg
„Der Inkubator soll eine Brücke sein, auf der innovative Forschungsideen zu Produkten oder Dienstleistungen werden und in den Markt gelangen“, sagt Sandra Dijk, Geschäftsführerin des CLIC – Center for Leading Innovation & Cooperation an der Handelshochschule Leipzig (HHL). Die 40-Jährige hat auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften promoviert. Ihr zur Seite steht Sina Plietzsch (27), wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am CLIC. Beide weisen auf den interdisziplinären Aufbau des futureTEX-Inkubators hin. Denn um eine Idee zu einem marktfähigen Produkt weiterzuentwickeln, brauche es verschiedenste Expertisen. Inkubator-Partner sind neben der HHL das Sächsische Textilforschungsinstitut (STFI) in Chemnitz und das Innovationsunternehmen HYVE in München. Der Inkubator arbeitet nach der Double Diamond-Methode, die 2005 in Großbritannien entwickelt wurde, um kreative Abläufe aus unterschiedlichsten Bereichen zu vereinen. Sandra Dijk erklärt das kurz so: „Der Doppeldiamant besteht aus zwei diamantförmigen Bereichen mit insgesamt vier Phasen. Die ersten zwei Phasen dienen der Informationsbeschaffung und dem Nutzerverständnis; also dem Fragen, Zuhören und Sortieren. Der zweite Diamant mit seinen zwei Phasen ist der Ideengenerierung und dem Prototypisieren gewidmet.“ Das geschehe immer nah dran an den Quellen des Bedarfs, denn das Nutzer-Feedback sei wichtig für die Reifung des Prototyps bis zur erfolgreichen Markteinführung.
Neben dem HYVE und dem STFI betreut auch die HHL futureTEX-Teams, die sich für sechs bis neun Monate in die Inkubator-Atmosphäre des „groß Denkens ohne Einschränkung“ begeben. „Da ich selber keine Expertin in der Textilindustrie bin, trete ich oft in der Rolle der Fragenden auf“, sagt Sina Plietzsch. „Auch das Hinterfragen durch einen Outsider kann eine Idee auf den Prüfstand stellen; kann dazu führen, sie aus ganz anderer Sicht zu betrachten.“
Textilforscher üben sich im Different Thinking
Wer zum Beispiel braucht eine „textile Solarzelle“? Die Inkubator-Akteure analysierten den Markt und kamen zu dem Ergebnis, dass Anwendungen von Textilien mit integrierten Energiequellen in der Schifffahrt, Mobilität oder im Outdoor-Bereich möglich sind. Besonders seien jedoch Eltern an Kinderkleidung interessiert, die im Dunkeln leuchtet.
Auch die Entwickler eines textilen Drucksensors wären wohl ohne den Inkubator kaum auf die Anwendung gekommen, die inzwischen auf große Nachfrage stößt: die Hundematte. In eine Schaumstoffplatte integriert kann das textilbasierte Sensorsystem Druckkräfte aufnehmen, verarbeiten und visualisiert etwa an eine App weiterleiten – was nicht nur dem Pflegesektor neue Perspektiven eröffnet, sondern eben auch Hundebesitzern, die nachts merken, wenn ihre Vierbeiner raus müssen.
Vier Inkubator-Projekte sind derzeit abgeschlossen, drei laufen noch. Auf Basis der überaus positiven Rückmeldungen befürworten Sandra Dijk und Sina Plietzsch die Implementierung eines Inkubators in das Wertschöpfungsnetzwerk zur Herstellung technischer Textilien.