„Wir werden Modellstadt für modernen Lehmbau“ : Datum:

Der Sage nach hat Prometheus die Menschen aus Lehm und Wasser geformt. Was der Oberbürgermeister von Weißenfels vorhat, ist Realität: Er will eine Stadt aus Lehm formen. „Wir werden Modellstadt für modernen Lehmbau“, ist die Vision von Martin Papke.

Martin Papke, Oberbürgermeister von Weißenfels und Denkmalschützer Stephan Kujas (v.l.) zeigen die immensen Lehmvorkommen am Rande der Stadt.
Martin Papke, Oberbürgermeister von Weißenfels und Denkmalschützer Stephan Kujas (v.l.) zeigen die immensen Lehmvorkommen am Rande der Stadt. © PRpetuum, Kathrain Graubaum

Der Gedanke an den Titanen Prometheus drängt sich auf. Über zwei Meter hoch gewachsen steht Martin Papke am Rande einer Grube. Er ist 35 Jahre alt und seit zwei Jahren Oberbürgermeister von Weißenfels im Süden Sachsen-Anhalts. Vor den Toren seiner Stadt, wird Kies zutage gefördert. An den Schürfkanten der Gruben sind dicke Lehmschichten zu erkennen. Die Mischung aus Sand, verwittertem Gestein und Ton lagerte sich hier in der Eiszeit ab. Unter den heutigen Maßgaben von Ökobilanz und Klimaneutralität ist dieser Naturstoff ein ideales Baumaterial. Papke hat einen Plan: „Wir treiben die Wende zum nachhaltigen Bauen voran.“ Er nimmt einen Klumpen Lehm in die Hand: „Lehm kann mit wenig Energieaufwand verarbeitet werden, ist komplett recycelbar und sorgt für ein gesundes und optimales Raumklima“, Papke ist im Gespräch mit Investoren, die die Lehmvorkommen zu Baumaterialien verarbeiten.

Fachliche Qualifizierung der Stadtverwaltung

Stephan Kujas, Mitarbeiter der Denkmalbehörde der Stadt, steht dem Oberbürgermeister in Zukunft eng zur Seite. Ab 2025 wird er sich als sein persönlicher Referent auch um den Lehmbau in Weißenfels kümmern: Seine Aufgaben werden vom Marketing über die Bildungsarbeit bis zur Beratung reichen. Ein wichtiger Wegbegleiter dabei ist das GOLEHM-Forschungsbündnis. Die Initiative für „Ganzheitlichen, Oekologischen Lehmbau“ wird im Rahmen der Programmlinie „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ vom Bundesforschungsministerium gefördert.

„Seit der ersten Besiedlung wurden in Weißenfels Häuser aus Lehm gebaut – bis in die 1950er Jahre hinein. Lehm hatte jedoch das Negativ-Image als Baumaterial armer Leute. Es wurde durch andere, teils neu entwickelte Materialien ersetzt und geriet als Baustoff in Vergessenheit“, erzählt Denkmalschützer Kujas. Doch das will Weißenfels zusammen mit GOLEHM ändern. Überall dort, wo die Stadt jetzt alte Bauten saniert oder neue Häuser baut, soll Lehm verwendet werden. Der Oberbürgermeister betont, dass die Stadtverwaltung künftig in Ausschreibungen, Bauplanungen und -genehmigungen explizit Vorgaben zur Verwendung von Lehm macht. „Die ersten Seminare zur diesbezüglichen Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung haben wir schon durchgeführt“, ergänzt Stephan Kujas und hebt die guten Bildungsangebote aus dem Umfeld des GOLEHM-Bündnisses hervor. Zudem ist Weißenfels GOLEHM-Kooperationspartner bei der Entwicklung eines rollenden Lehmlabors. Das soll überall dort stehen, wo sich Fragen zum Bauen mit Lehm ergeben – auf der Handwerker-Messe wie auch im Dorf mit alter Lehmbau-Substanz.

Finanzielle Unterstützung beim Bauen mit Lehm

„Auch Bürgergespräche rund um den Lehmbau gehören zu unseren kommunalen Aufgaben“, berichtet Stephan Kujas. Er erzählt von einem ratlosen jungen Paar. Es hatte zu einem erschwinglichen Preis ein Gehöft gekauft und dann festgestellt, dass es aus Lehm gebaut ist. Die fachgerechte Sanierung würde mehr Kosten als eine herkömmliche verursachen. Oberbürgermeister Papke sieht darin ein Paradebeispiel, wie die Stadt beim Bauen mit Lehm helfen kann: „Wir verhandeln derzeit mit regionalen Kreditinstituten über günstige Privatkredite für nachhaltiges Sanieren und Bauen.“ Auf diese Weise könnten Menschen auch finanziell unterstützt werden.

Der Stadtrat hat bereits für erste Baugrundstücke die Förderung von Lehmbauten beschlossen. Und regionale Baufirmen bekommen Unterstützung, wenn sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Handwerkstechnik weiterbilden lassen. Auch die Idee für ein neues GOLEHM-Projekt gibt es: In mehrwöchigen Sommer-Akademien sollen Studierende aus dem Baubereich mit Lehmbauweisen vertraut gemacht werden, so soll der akademische Nachwuchs in Planung und Baugewerbe die Bauwende mit vorantreiben. Denn gerade in Mitteldeutschland sind die Lehmvorkommen besonders groß und geeignete Fachleute selten.

Martin Papke und Stephan Kujas stehen auf dem Georgenberg von Weißenfels. Hier oben werden Baugrundstücke „bester Lage“ verkauft.
Martin Papke und Stephan Kujas stehen auf dem Georgenberg von Weißenfels. Hier oben werden Baugrundstücke „bester Lage“ verkauft. © PRpetuum, Kathrain Graubaum

Dabei sein, wenn sich eine Stadt neu erfindet

 Auch auf den Baugrundstücken in bester Lage, auf dem Georgenberg, ist die Verwendung von Lehm geplant. Wer hier wohnt, hat Aussicht auf die 30.000 Einwohner zählende Stadt. Hier in Weißenfels, so Papke, erzähle man sich die alten Geschichten aus vergangenen Zeiten, als in der Region noch Kohle gefördert wurde und Weißenfels in der DDR das Zentrum der Schuhproduktion war. Es sei an der Zeit, dass neue Geschichten erzählt werden, von jungen „Zugezogenen“ wie er einer ist. Nach Architektur- und Theologiestudium kam Martin Papke vor zehn Jahren von Zerbst nach Weißenfels. Nun will er noch mehr Menschen seiner Generation hierherlocken: Enthusiasten in Aufbruchstimmung, die einen attraktiven und nachhaltigen Lebensraum gestalten wollen. Leute mit ähnlichen Zielen wie er, die zum Beispiel ressourcenschonend und klimaneutral handeln wollen, würden in Großstädten nicht so richtig glücklich, meint Papke. Um sie zu erreichen, will er mit Stephan Kujas und dem Projektteam von GOLEHM eine gemeinsame Strategie entwickeln. „Lehm“ steht darin als Synonym für Innovation und Strukturwandel. Weißenfels soll Vorreiter eines deutschlandweit neuen Lehmstoffkreislaufes werden – von der Gewinnung über die Herstellung bis zur Anwendung und dem Recycling des Baustoffs.

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