Speisepilze als Schlüssel zur nachhaltigen Reststoffverwertung : Datum:
Das WIR!-Bündnis INGRAIN will Stoffkreisläufe in der Lebensmittel-, Textil- und Agrarwirtschaft über Branchen hinweg schließen. In zwei Projekten erforschen die Partner, inwieweit Speisepilze dabei helfen können.

Rund 160.000 Tonnen Champignons essen die Deutschen jährlich. Der Verkaufserlös stieg in Deutschland zwischen 2019 und 2023 von 195 auf 403 Millionen Euro. Edelpilze wie Kräuterseitlinge, Austernseitlinge und Shiitake werden hierzulande zwar in weitaus geringeren Mengen konsumiert, gewinnen aber an Beliebtheit. Sie passen hervorragend in die vegane und vegetarische Küche.
Edelpilze könnten aber auch ein Schlüssel sein, um Reststoffe aus der Agrar- und Lebensmittelindustrie, der Holzverarbeitung und der Textilindustrie zu verwerten – oder besser gesagt: aufzuwerten. Das jedenfalls erhoffen sich Forschende der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach und Krefeld sowie des Instituts für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen. Sie gehören zu den Partnern des WIR!-Bündnisses INGRAIN, das den ländlich geprägten Kreis Heinsberg und seine Nachbarräume im äußersten Westen Deutschlands als Innovationsregion für eine biobasierte „Circular Economy“ etablieren will.
Gesunde Nahrungsmittel, veganes Leder und Wirkstoffe
Bisher enden Ananaskerne, Möhrenenden, Faserbreie und andere regionale Reststoffe oft in Biogas-Anlagen, im Tierfutter oder Kompost. „Die Idee hinter unserem Projekt BasiCALT ist es, diese Nebenströme nachhaltiger zu nutzen“, Melina Lindek vom Kompetenzzentrum für angewandte Mykologie und Umweltstudien der Hochschule Niederrhein. „Und zwar auf drei verschiedene Weisen.“ Erstens sollen die Reststoffe als Nährboden für die Zucht von Edelpilzen dienen, die gesunde und leckere Nahrungsmittel sind. Mit dem Begriff Pilz ist dabei der oberirdisch sichtbare und essbare Fruchtkörper gemeint. Zweitens planen die Forschenden, aus den Pilzen Textilfasern und vegane Lederalternativen herstellen.
Drittens untersuchen die Forschenden, inwieweit sich die Reststoffe für die biotechnologische Produktion von Farb- und Aromastoffen, Enzymen oder medizinischen Wirkstoffen eignen. Solche wertvollen Stoffe lassen sich aus dem unterirdischen Teil eines Pilzes gewinnen, dem Mycel, bestehend aus einem feinen Geflecht fadenförmiger Zellen. Die BasiCALT-Forschenden wollen die regionalen Reststoffe für flüssige Nährmedien in Bioreaktoren nutzen, in denen die Mycelien wachsen und hochwertige Stoffe freisetzen.

Kultivierung von 12 Edelpilz-Arten
Bisher haben Forschende der Hochschule Niederrhein in dem Projekt, das Anfang 2024 angelaufen ist, eine Reihe von Unternehmen als assoziierte Partner gewonnen, die Reststoffe liefern. Eine Marktstudie und Informationsveranstaltungen schufen die Grundlage dafür. Eine Literaturrecherche zu zwölf Edelpilz-Arten ergab, dass wenig über die Verwendung von Reststoffen der Agrar- und Lebensmittelindustrie als Nährböden bekannt ist. „Im Labor führten wir zunächst Versuche mit Mycelien der zwölf Edelpilz-Arten durch und stellten fest, in welchen anfallenden Reststoffen sie überhaupt wachsen“, berichtet Lindek. „Vielversprechende Kombinationen von Nebenströmen und Edelpilz-Arten nutzten wir dann für weitergehende Kultivierungsversuche.“ Inzwischen hat die Lebensmittelwissenschaftlerin die ersten Edelpilz-Fruchtkörper geerntet.
Bei einem anderen INGRAIN-Projekt stehen nicht Edelpilze im Fokus, sondern Champignons. Zu ihrer Zucht wird Torf als Deckerde eingesetzt. Denn Torf, der auch als Substrat beim Anbau von Tomaten oder Zierpflanzen verwendet wird, ist ein idealer Speicher von Wasser, aus dem sich die Pilze oder Pflanzen nach Bedarf bedienen können. Doch Torf stammt aus trockengelegten Mooren. Sein Abbau setzt den dort gebundenen Kohlenstoff als klimaschädliches CO2 frei – und zwar in erheblichen Mengen: Moore enthalten nach Schätzungen 21 bis 33 Prozent des organischen Kohlenstoffs der Biosphäre, bedecken aber nur rund 3 Prozent der Landfläche. Die Torfminderungsstrategie des Bundeslandwirtschaftsministeriums sieht daher bis 2030 einen weitgehenden Ersatz von Torf vor.

Torfersatz für Champignonzucht
Forschende des Projekts TechEnt erkunden seit Ende 2022, welche Materialien aus pflanzenbasierten, zellulosehaltigen Reststoffen den Torf und weitere nicht nachhaltige Wachstumssubstrate wie Mineralwolle oder Kokosfasern ersetzen können. Diese Reststoffe lassen sich zu Faserbrei, in der Fachsprache Pulpe genannt, kurzen Fasern, Vliesen und Geweben verarbeiten. „Wir haben die Dichte, Porosität, Wasserspeicherung und weitere physikalische Eigenschaften solcher Materialien bestimmt“, sagt Sea-Hyun Lee, TechEnt-Projektleiter vom Aachener ITA. „Einige Materialien erreichten die Eigenschaften des Torfs.“ Anschließend testeten die Projektpartner der Aachener Forschenden die Materialien dann in Kultivierungsversuchen: Die Pilzzucht fand in klimatisierten Räumen der Hochschule Niederrhein statt, der Tomatenanbau in Gewächshäusern der Hochschule Rhein-Waal. Erste Versuche zeigten, dass die Materialien noch nicht mit dem Torf mithalten konnten: Beispielsweise waren die Champignonkulturen anfällig für Schimmel. „Wir haben dann die Materialien verändert, etwa die Pulpe noch mit Lignin beschichtet“, so Lee.
Die Kultivierungsversuche mit den modifizierten Materialien sind noch nicht abgeschlossen, endgültige Ergebnisse stehen aus. Doch Lee ist optimistisch: „Optisch sehen die Kulturen nun deutlich besser aus als bei den ersten Versuchen.“