Revolution im stillen Örtchen
Gäste, die das erste Mal die Pilotanlage des „zirkulierBAR“-Bündnisses in Eberswalde besuchen, kommentieren das, was sie dort sehen, meist mit Erstaunen, Neugier oder auch manches Mal mit zusammen gekniffenen Augen. Unsere menschliche „Gülle“ gehört zwar zu unserem Alltag, ist momentan Abfall, soll aber in Zukunft düngender Rohstoff werden. Dieses Ziel haben sich Ariane Krause und ihr Bündnisteam gesetzt.
Frische Ware ist auf der Testfläche der Barnimer Kreiswerke angekommen. Fäkalien in bester Konsistenz. 50 Kubikmeter reif für die Verarbeitung, randvoll mit Nährstoffen und bereit zum Wiedereintauchen in den ewigen Kreislauf des wertvollen Recyclings. In ordentlicher Reihe stehen die jeweils 100 Liter fassenden Tonnen quasi in Schlange, um an der ersten Station entleert werden zu können.
Wegweisend für interkommunale Kooperation
Ariane Krause, die in ihrem Leben vor Eberswalde im Rahmen der Promotion vier Jahre lang in Tansania den Einsatz von Trockentoiletten erforschte, führt uns über das Gelände der Barnimer Kreiswerke. Auf der Tour durch die erste Ausbaustufe der Pilotanlage, unterstreicht sie ihre Hauptanliegen bezüglich des vom Bundesforschungsministerium geförderten zirkulierBAR-Bündnisses“: „Beispielgebend für die Landkreise, Städte und Gemeinden in der Bundesrepublik wollen wir zeigen, was durch den Einsatz von modernen Trockentoiletten für Kommunen möglich wird. Gerade nach diesem trockenen Sommer stellt sich die Frage, wofür wir Trinkwasser in Zukunft nutzen können und wollen. Und wie der enorme Einsatz von Energie und Chemie in den Abwasserreinigungsanlagen reduziert werden kann sowie Kunstdünger durch natürliche Alternativen ersetzt werden kann. Die schon jetzt vorhandene positive Resonanz aus mehreren Bundesländern signalisiert nicht nur allgemeines Interesse, sondern großen Bedarf.“ Wichtig sei ihr der Hinweis, dass in den nun anstehenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zunächst die Nutzung der Trockentoiletten zum Beispiel bei OpenAirEvents, als öffentliche Örtchen in den Kommunen, aber auch für Kleingartenanlagen und auf Campingplätzen im Zentrum steht. Selbstverständlich habe man auch den Wohnungsbestand in ländlichen Regionen genauso wie im urbanen Raum ohne Kanalisation im Blick. Das werde dann aber der zweite Schritt ihres Innovationsbündnisses sein. Erste Arbeiten dafür laufen im Rahmen der EU-Förderung „P2Green“.
An dieser Stelle kommt Florian Augustin hinzu. Schließlich steht er als Chef der FINIZIO GmbH bei jedem Wind und Wetter oben auf dem Annahmecontainer. Tonne für Tonne prüft er selbst. Denn ohne seine FINIZIO-Trockentoiletten würde die Idee des Bündnisteams, unsere menschliche Darm- und Harnproduktion zu wertvollem Humusdünger werden zu lassen, nur blasse Theorie bleiben. Nach seinem Studium an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde HNEE und seiner prägnant titulierten Abschlussarbeit „Praktischer Leitfaden zur Veredelung menschlicher Exkremente“ gründete Augustin FINIZIO.
Nicht gerührt, aber gut geschüttelt
Jetzt aber los – schließlich wartet der Tonnenstau an Station 1 der Anlage auf Auflösung. Station 1 „Hygienisierung“ ist ein Container ähnlicher Kasten in Größe eines LKW-Anhängers. Da Krause und Augustin die Wiederverwendung zum Programm machen, ist auch diese Bauart in Form eines Abfallcontainers keine kostspielige Neuentwicklung, sondern ein praxiserprobter Baustein aus der Fleischverarbeitung. Darin wurden früher Schlachtabfälle sterilisiert. Versehen mit 80 Watt-Ventilatoren regt der Container die Belüftung der Mikroorganismen in den Fäkalien so an, dass die Innentemperatur steigt. So wird aus dem Abfallcontainer eine Wärmehalle für Nährstoffe aus unserem Darm. Für Ariane Krause ist dieser Prozess entscheidend für die Qualität der gesamten Pilotanlage: „Die Erhitzung der Mikroorganismen in den Fäkalien mit Hilfe von Sauerstoff und Grünschnitt oder Stroh p auf 75 Grad Celsius stellt sicher, dass alle Keime, die Krankheiten verbreiten, in diesem Container vernichtet werden. Nur dann haben wir am Ende die Chance auf ein neues Produkt, dass den Namen Humusdünger auch wirklich verdient.“
Dieser Prozess kann bis zu einer Woche dauern. Danach wird die 75 Grad heiße Masse an Station 2 „Humifizierung“ zum Trocknen und Abkühlen auf einer Betonfläche verteilt. Die Temperatur dieser Masse muss danach in diesem Schritt 65 Grad deutlich unterschreiten. Nicht minder wichtig ist der tägliche Check des Gehalts an Sauerstoff, der nicht unter 5 Prozent fallen darf, um am Ende nicht nur simplen Humus zu erhalten, sondern wertvollen Dünger. Damit das alles genau so funktioniert, lockert eine Maschine die Masse kontinuierlich auf, damit immer wieder frische Luft zugeführt wird. Damit die Inhaltsstoffe beim Trocknen nicht miteinander verkleben, wird die Masse ständig durchgerüttelt. Wenn alles Rütteln ein Ende hat, muss die Masse nochmal gesiebt werden, um nicht nutzbare Reststoffe aus Textil, Papier oder Kunststoff heraus zu bekommen.
Menschliche Gülle braucht innovative Gesetzgeber
„Jetzt ist alles schön fluffig, die getrocknete Humusmasse rinnt fein und Nährstoff reich durch die Finger“, freut sich Ariane Krause. Noch darf dieser menschliche Humus nicht zum Düngen eingesetzt werden. Die entsprechende Düngemittelverordnung gelte nur für tierische Gülle, nicht aber für unsere eigene. Damit sich das ändern kann, hat das Team von zirkulierBAR schon einen Entwurf für eine neue DIN SPEC 91421 erarbeitet. Natürlich nicht aus der Luft gegriffen, sondern auf wissenschaftlicher Basis der ersten Feldversuche 2020 mit dem neuen Dünger.
Bereits im kommenden Jahr soll die Barnimer Kreislaufwirtschaft noch effizienter gestaltet werden. Auf einer Art Regal soll dann die Huminifizierung aus Station 1 und die Lockerung und Trocknung aus Station 2 auf mehreren übereinander liegenden Ebenen möglich sein. Die erforderliche Genehmigung dafür liegt inzwischen vor. Ergänzt wird dieser neue Baustein mit Feldversuchen zur Beweissicherung der Düngerqualität und einem Durchbruch bei den juristischen Fragen der Zulassung.
Wie bodenständig innovativ das Projekt heute schon sein kann, beweist ein Besuch auf dem Eberswalder Friedhof. Dort steht im Praxistest eine neue Finizio-Trockentoilette, die ohne die kostentreibende Infrastruktur von Wasser- und Abwasserleitungen funktioniert. Und deren Abfall ebenso zu Dünger werden soll. Made in Eberswalde.