Spielerisch in die Wasserstoff-Zukunft : Datum:
Die Initiative „H2!Raum“ will mittelständischen Unternehmen im Ruhrgebiet den Weg in die Wasserstoffwirtschaft ebnen. Für den Wissens- und Ideenaustausch erprobt sie auch ungewöhnliche Veranstaltungsformate wie den „Business Poker“. Um Geld wird dabei nicht gespielt.
Pokern im Hinterhof-Gebäude – das klingt nach Gangsterfilmen und illegalem Glücksspiel. Doch an diesem Nachmittag in Herne ist alles anders: Die „Alte Druckerei“ im Hinterhof erstrahlt als schmucker Veranstaltungsort. Die Spielleiter scheuen nicht das Tageslicht, sondern stehen im feinen Smoking weithin sichtbar vor dem Eingang, als die Teilnehmenden eintreffen. Diese suchen nicht den schnellen Gewinn, sondern das Gespräch über ein Schlüsselelement der Energiewende: Wasserstoff. Er soll künftig als Speicher für erneuerbare Energie und als Energieträger dienen.
Eingeladen zum ungewöhnlichen Treffen hat der „H2!Raum – Mittelstand Ruhr 2030“, ein vom BMBF geförderter T!Raum der Westfälischen Hochschule und der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG. Die Initiative bringt Impulse aus der Wasserstoffforschung in die mittelständische Industrie. Gleichzeitig ermittelt sie die Bedürfnisse der regionalen Industrie, um sie bei der Entwicklung von technischen Lösungen und Geschäftsmodellen entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette effizient unterstützen zu können. Der H2!Raum entwirft und testet neue Transferformate, die den Austausch zwischen Wissenschaft und mittelständischer Wirtschaft voranbringen.
Für die Teilnehmenden an diesem Nachmittag im September 2024 geht es nicht direkt an die aufgebauten Pokertische. Zunächst hält Dr. Florian Wirkert, Koordinator des „H2 Solution Lab“, einen Vortrag. Er berichtet über Studienergebnisse zur Rolle des Wasserstoffs im künftigen Energiesystem. Außerdem informiert er über den Stand der Technik bei verschiedenen Elektrolyseverfahren, die zur Gewinnung des Wasserstoffs mit Hilfe „grünen“ Stroms dienen.
An den zwei Pokertischen ist die Sitzordnung festgelegt, um an den Tischen ein ausgewogenes Verhältnis von Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Wirtschaftsförderung und Kommunalpolitik zu verteilen . Die Croupiers, die ihren Beruf in Spielbanken erlernt und ausgeübt haben, erläutern die Spielregeln, bevor das Pokern beginnt. Sie sind Mitarbeiter eines Unternehmens, das deutschlandweit Casino-Events ausrichtet.
Den Transfer evaluieren
Ein Akteur anderer Art sieht sich das Geschehen an und setzt sich auch schon mal zwischen die Spielenden an den Tischen: Nils Berg, studierter Sozialwissenschaftler. Mit einer Hälfte seiner Stelle an der Westfälischen Hochschule widmet er sich der Evaluation der Transfermaßnahmen im H2!Raum. Bedeutet: Er beschreibt und bewertet nach schlüssigen Kriterien, wie gut die Transferformate ihren Zweck erfüllen. Beim Business Poker führt er dazu eine „teilnehmende Beobachtung“ durch.
Alle 14 Spielenden starten mit gleich großen Chipstapeln. Der Spielmodus sorgt dafür, dass nach drei Runden nur noch eine Person übrigbleibt. Nach rund drei Stunden, die durch zwei kurze Pausen unterbrochen wurden, steht die Turniersiegerin fest. Geld gibt es für die gewonnenen Chips nicht.
Austausch auf Augenhöhe
In seinem Bericht schreibt Nils Berg: „Wenn sich fachliche Gespräche ergaben, so geschah dies eher abseits der Pokertische.“ Doch die Teilnehmenden wären sich auf der persönlichen Ebene deutlich nähergekommen, als dies bei vielen anderen Veranstaltungsformaten der Fall sei. „Die Geselligkeit unter den Teilnehmenden, die Freude, die sie ausstrahlen, sowie die nahbare Kommunikation auf Augenhöhe können als Fundament für spätere Geschäftsbeziehungen genutzt werden“, ist Berg überzeugt.
Der Sozialwissenschaftler zieht zum Vergleich auch seine Beobachtungen beim H2-Vernetzungstreffen wenige Wochen zuvor herbei. Dort hatten sich Ingenieurinnen und Ingenieure aus Industrie und Wissenschaft getroffen, um unter anderem Branchen mit mittelständischen Unternehmen zu identifizieren, in denen Wasserstoff-Anwendungen wichtig werden. „Bei dieser Veranstaltung waren die Gespräche und Diskussionen erwartungsgemäß fachlich versierter“, so Berg.
Um Kontaktpflege und fachlichen Austausch noch besser unter einen Hut zu bringen, erprobt die Initiative derzeit bereits weitere Formate. Beim H2Quiz beispielsweise sitzen vier Teilnehmende an einem Tisch und beantworten Fragen zu Wasserstoff – von Politik über Wirtschaftlichkeit bis zu Technik. Sie haben nur wenige Sekunden, um zu reagieren. Wer falsch oder zu spät antwortet, verliert einen von drei Punkten, also ein „Leben“. Verliert jemand alle drei Leben, heißt es: Leider raus!
Nach dem Business Poker hat Nils Berg die Zufriedenheit der Teilnehmenden abgefragt, allerdings nicht per ausgedrucktem Fragebogen direkt vor Ort, sondern per anonymisierter Online-Befragung einige Tage später. „So erwarten wir unbeeinflusste und reflektierte Antworten. Die Rückmeldungsquote ist üblicherweise hoch“, erläutert der Sozialwissenschaftler.
Neun Teilnehmende reagierten auf die Abfrage. Einer bewertete den persönlichen Nutzen und die Austauschmöglichkeiten als „eher schlecht“, alle anderen als „gut“ oder „sehr gut“. Alle gaben an, mit der Veranstaltung „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“ gewesen zu sein.