Üppiger Pflanzenwuchs auf Nährboden aus Klärschlamm
Klärschlamm hat viele wachstumsfördernde Inhaltsstoffe. Das Thüringer Forschungsbündnis CarboMass stellt daraus ein Material her, das sich nicht nur als Nährboden für Wildpflanzen eignet, sondern auch als Abdeckmaterial in der Bergbaulandschaft.
„Das hier ist Abraum von über 100 Jahren Kalibergbau“, Werner Bierwisch von der IMM GmbH Sollstedt zeigt auf einen riesigen Berg. Durch die Kalisalz-Förderung hier am Rande des Südharzes wurde diese Erde von untertage nach oben befördert. Kalisalz ist ein Gemisch von Kalium, Natrium, Kalzium und Magnesium, begehrt als Düngemittel und als Rohstoff in der chemischen Industrie. Die IMM GmbH Sollstedt ist ein für die Verwertung von Bauschutt zertifizierter Entsorgungsfachbetrieb, der zudem dafür sorgt, dass sich Pflanzen auf diesem Abraum-Berg ansiedeln.
Bliebe der Abraum sich selbst überlassen, würde das noch in der Erde enthaltene Salz durch Regen ausgespült und ins Grundwasser eindringen. Eine ökologische und ökonomische Herausforderung: Denn Salz im Grundwasser schadet der Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren und macht die Trinkwasseraufbereitung aufwendig und teuer. Darum wird die Halde hauptsächlich mit Bauschutt abgedeckt. Obendrauf kommt eine Schicht Erde mit Nährstoffen, die das Pflanzenwachstum unterstützen. „Inzwischen ist das hier ein natürlich gewachsenes Ökosystem“, Bierwisch zeigt auf die Sträucher und Bäume.
Doch es gibt ein Problem: „Die Abdeckerde, durch Beimischung unter anderem von Biokompost aus der braunen Tonne qualitativ aufgewertet – ist teuer in der Herstellung und in diesen Riesenmengen nicht mehr zu bekommen“, sagt Bierwisch. Eine neue Möglichkeit der Haldenabdeckung wird dringend benötigt und derzeit auf dem Gelände der IMM GmbH getestet: „CarboMass“ soll einmal der Markenname sein für das neuartige Material aus Klärschlamm.
Klärschlamm kommt nicht mehr auf die Felder
CarboMass heißt auch das „Forschungsvorhaben zum Aufbau einer regionalen Kreislaufwirtschaft zur lokalen Wiederverwendung von Klärschlamm“. Es wird aus der Programmlinie „REGION.innovativ“ vom Bundesforschungsministerium gefördert. Partner in dem Projekt sind neben der IMM GmbH Sollstedt auch der Landkreis Nordhausen und die Gemeinde Bleicherode, die Abwasserzweckverbände Bode-Wipper und Südharz sowie die Hochschule Nordhausen.
Anja Schreiber von der Hochschule Nordhausen gehört zum CarboMass-Koordinierungsteam und ist regelmäßig bei den Partnern vor Ort; an diesem Tag auch auf dem Gelände der Kläranlage Wipperaue nahe Bleicherode. Dort steht die hochschuleigene Anlage, in der der Klärschlamm in einem thermo-chemischen Umwandlungsprozess verarbeitet wird. In dem Pyrolyseverfahren, so der Fachbegriff, werden durch Temperaturen um 900 Grad die organischen Verbindungen des Klärschlamms gespalten. Um eine vollständige Verbrennung zu verhindern, erfolgt das Verfahren unter Ausschluss von Sauerstoff. Das Ergebnis ist eine tiefschwarze Bio-Kohle.
Frank Biermann, technischer Leiter des Abwasserzweckverbandes Bode-Wipper, hält diese Art Verwertung des Klärschlamms für eine gute Lösung. Denn Klärschlamm darf spätestens ab 2032 nicht mehr als Dünger auf die Felder gebracht werden. Der Grund: Zu viele Schadstoffe, Arzneimittelrückstände und Kunststoffreste hinterlassen wir Menschen mittlerweile in dem, was in den Kläranlagen ankommt. Im Pyrolyseverfahren können viele der genannten Schadstoffe eliminiert und der Klärschlamm dann wiederverwendet werden.
Kohle-Pellets werden mit Kompost vermischt
Seit einem Jahr ist in der Kläranlage Wipperaue die Pyrolyseanlage in Betrieb. Im Ergebnis wurden bislang 118 Tonnen Bio-Kohle in Form stäbchenförmiger schwarzer Pellets produziert. Diese werden mit Kompost vermischt und seit vergangenem Herbst auf Testflächen in der Kläranlage gebracht. Eine der Flächen ist zum wahren Insektenparadies geworden. 23 Arten von Wildblumen, Kräutern und Gräsern zählt Anja Schreiber. Alle haben sich hier von selbst angesiedelt. Der Nachteil: „Bis zu diesem üppigen Bewuchs hat es sieben Monate gedauert. Um einen Abraum-Berg vor Erosion zu schützen, muss der Pflanzenbewuchs schneller gehen“, Anja Schreiber zeigt auf die Grasfläche daneben. Drei Arten von Gräsern wurden hier von Hand ausgesät und bildeten schon nach kurzer Zeit einen Teppich. Auf dem wird sich in nächster Zeit auch ein artenreicher Wildwuchs ansiedeln.
„Wir untersuchen jetzt, wieviel Regenwasser von den mit Pflanzen bewachsenen CarboMass-Schichten aufgenommen wird“, Anja Schreiber zeigt auf die Kunststofffolie darunter und auf die Rohre, die das überschüssige Wasser auffangen und in Behälter leiten. Wieviel Wasser durch die bewachsene Schicht sickert, wird im Vergleich mit dem gefallenen Regen errechnet. Zu viel durchdringendes Wasser würde die Kalisalze im Kern der Halde lösen und das Grund- und Oberflächenwasser belasten. Eine optimale Mischung aus Bio-Kohle und Kompost könne sehr viel Regenwasser speichern, sagt Anja Schreiber. „Wenn uns die Mischung gelingt und die Laboruntersuchungen des Wassers keine Auffälligkeiten ergeben, könnte CarboMass vom Bergamt als Haldenabdeckung zugelassen werden.“ Die Wissenschaftlerin ist sich sicher, dass sie und ihr Team das angestrebte Projektziel erreichen.