Wissen für die nächste Generation speichern

Wenn Fachkräfte in den Ruhestand gehen, verlieren Unternehmen oft wertvolles Know-How. Das REGION.innovativ-Bündnis KüSTE hat deshalb eine App entwickelt, mit der Erfahrungswissen für die nächste Generation gespeichert werden kann. Dabei zeigte sich, wie wichtig der zwischenmenschliche Kontakt ist.

Peter Hein (Hochschule Wismar), Prof. Dr. Christian Gade (Hochschule der Bundesagentur für Arbeit) und Dr. Jan Cetric Wagner (Projektkoordinator) bei der Abschlussveranstaltung
Peter Hein (Hochschule Wismar), Prof. Dr. Christian Gade (Hochschule der Bundesagentur für Arbeit) und Dr. Jan Cetric Wagner (Projektkoordinator) bei der Abschlussveranstaltung © Angelika Rusche-Göllnitz, PRpetuum

Fachkräftemangel und Generationenwechsel gehören zu den größten Herausforderungen mittelständischer Unternehmen. Das trifft insbesondere auf Unternehmen in ländlichen Regionen wie Westmecklenburg zu. Um Erfahrungswissen langfristig an neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeben zu können, suchte das vom BMBF geförderte REGION.innovativ-Bündnis KüSTE nach digitalen Lösungen. Der Name KüSTE steht für “Künstliche Intelligenz zur Sicherung des Transfers von Erfahrung im Generationenwechsel mittelständischer Unternehmen”.

Im Juni 2024 präsentierten die Projektbeteiligten ihre Ergebnisse bei der Abschlussveranstaltung im InnovationPort in Wismar. Sie demonstrierten mit einer selbst entwickelten App, wie Erfahrungswissen erhalten werden kann. Während erfahrene Fachkräfte auf der einen Seite Anleitungen mit Texten, Bildern und Videos eingeben, können neue Mitarbeitende mit der App auf das Wissen zugreifen.

“Wie bekomme ich Mitarbeiter dazu, die App zu nutzen und Abläufe einzutragen?”, fragte sich Projektkoordinator Dr. Jan Cetric Wagner. “Wir haben dafür eine spielerische Komponente eingebaut”, so der Geschäftsführer der CIM - Innovation und Technologie gGmbH Wismar. “Man kann in der App Punkte sammeln.”

“Ein Problem ist, dass die Menschen gar nicht wissen, was sie alles wissen”, betont Prof. Dr. Christian Gade von der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit Schwerin, der das Projekt arbeitswissenschaftlich betreute. Dinge, die man selbst kann und weiß, hält man leicht für selbstverständlich.

Ohne menschliche Komponente geht es nicht 

Um Erfahrungswissen aus Menschen herauszukitzeln, ist ein Dialog nötig. “Man kann nicht einfach eine Kamera aufstellen und den Mitarbeitenden seine Arbeit tun lassen”, so Dr. Wagner. “Es muss jemand dabei sein und aktiv begleiten.” Man müsse etwa fragen: „Warum machst du das so?“ Nur durch solche Nachfragen könne man auch auf das Wissen zugreifen, über das die handelnde Person selbst nicht nachdenkt. “Sonst kommt man nicht darauf, dass es Wissen ist, das weitergegeben werden muss. Das sind oft Automatismen.“

Damit die App von jedem genutzt werden kann, sollte sie möglichst niederschwellig sein und auf verschiedenen Endgeräten funktionieren. Deshalb ließ das Team auch die Anwendungsfreundlichkeit beurteilen. Mitarbeitende von beteiligten Unternehmen aus der metallverarbeitenden Industrie testeten die App. Im Mittel fiel ihr Urteil bezüglich des Eingabetools“ gut” und bezüglich des Ausgabetools “o.k.” aus. “Im Vergleich zu anderen Untersuchungen sind das gute Zahlen”, so Prof. Gade. 

Wissen strukturieren mit Maximalnetzplan

Um das Wissen nutzen zu können, muss es strukturiert werden. “Man muss dafür in Prozessen denken”, erklärt Peter Hein von der Hochschule Wismar. Er war an der Programmierung der App beteiligt. “In der Produktionstechnik gibt es den Ansatz vom Vorgangsknotennetzplan.” Dabei werden Arbeitsabläufe in die einzelnen Schritte aufgeteilt. Man kann sie in der Reihenfolge, in der sie abgearbeitet werden, mit Pfeilen verbunden darstellen.

Grafik Vorgangsknotennetzplan
Grafik Vorgangsknotennetzplan © PRpetuum

So ein Netzplan ist ein Sollablaufplan. “Aber was passiert, wenn eine Störung auftritt und man den Plan nicht so abarbeiten kann?”, fragt Peter Hein. “Muss man warten, bis die Maschine repariert oder fehlendes Material wieder da ist?” Um in solchen Situationen nicht aufwendig neu planen oder entscheiden zu müssen, gibt es als Weiterentwicklung den sogenannten “Maximalnetzplan”. Er enthält zusätzlich Informationen über alternative Abläufe bei Störungen. Diese Alternativen werden situationsabhängig berechnet und den Anwenderinnen und Anwendern bei Bedarf direkt zur Verfügung gestellt.

Grafik Maximalnetzplan
Grafik Maximalnetzplan © PRpetuum

Vorbereitet auf Störungen im Betriebsablauf

“Da kommt die Erfahrung von Menschen mit ins Spiel, die solche Situationen schon erlebt haben und wissen, wie sie damit umgehen müssen”, so Hein. Bisher wurde solches Wissen meistens nicht festgehalten. Mit der App des Bündnisses wäre das möglich. Sie erstellt aus den Eingaben automatisch einen Maximalnetzplan. Dafür müssen die Mitarbeitenden zu jedem Arbeitsschritt angeben, welcher Schritt davor und danach kommt und was bei Störungen zu tun ist. 

Die Idee für den Maximalnetzplan hatten der Professor für Fertigungslehre und Fabrikplanung Dr. Roland Larek von der Hochschule Wismar und sein damaliger Doktorand Dr. Wagner. Nach drei Jahren Projektlaufzeit zieht Dr. Wagner ein positives Fazit: “Unsere Machbarkeitsstudie war ein Erfolg. Damit solch ein Tool auch in der Praxis uneingeschränkt integriert werden könnte, müsste im nächsten Schritt an der Verbesserung der Cybersecurity und der Systemstabilität gearbeitet werden.” Die Beteiligten wollen ihre Ergebnisse in einem Nachfolgeprojekt verstetigen. Im November 2024 bekamen sie die Bewilligung zur Förderung ihres Innovationsnetzwerks "DigiFach - Netzwerk für die Entwicklung von digitalen Werkzeugen zur Bewältigung der Probleme des Fachkräftemangels".

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