Der Demenz auf der Spur

Antikörper wirken wie eine Art Polizisten in unserem Immunsystem. Der Doktorand Markus Göthel hat einen künstlichen Antikörper hergestellt, der gezielt Legionellen-Bakterien findet. Im Team eines Potsdamer Forschungsbündnisses entwickelt er jetzt Antikörper, die u.a. Anzeichen von Demenz früh erkennen.

Markus Göthel
Doktorand Markus Göthel entwickelt Antikörper zum Einsatz in Diagnostik und Therapie. © PRpetuum GmbH

Markus Göthel hält sich in diesem heißen Sommer noch lieber an seinem Arbeitsplatz auf als sonst. Denn die Labore im Institut für Biochemie und Biologie an der Universität Potsdam müssen gut klimatisiert sein. „Schwankende Temperaturen beeinflussen unsere Experimente“, sagt Markus Göthel, der an einem der Forschungsschwerpunkte der Uni mitwirkt: der Immuntechnologie. Bezeichnender Weise dekoriert die künstlerische Darstellung eines Antikörpers den Raum, in dem sich Markus Göthel und seine Kolleginnen und Kollegen gern treffen. In ihrer herkömmlichen Y-Form fangen Antikörper mit beiden Armen Viren, Bakterien, Pilze oder Parasiten im Blut ein und binden sich so lange an sie, bis die natürlichen Killerzellen aus dem Immunsystem kommen und die Krankheitserreger eliminieren. Ohne diese wachsamen Polizisten, auch „Fänger“ genannt, würde unser Immunsystem nicht funktionieren.

Markus Göthel und Dr. Sophia Michelchen
Markus Göthel und Dr. Sophia Michelchen, die seit Anbeginn im Immuntechnologie-Team forscht, messen mit dem digitalen Laborgerät die Qualität der Antikörper. © PRpetuum GmbH

Es klopft an der Tür, jemand möchte sich einen Kaffee machen. Die Wissenschaflerinnen und Wissenschafler haben Geld zusammengelegt für eine Maschine, die „sehr guten“ Kaffee liefert und somit auch für Begegnungen sorgt. „Wegen der angeregten Gespräche hier kommt Homeoffice für uns nicht infrage – aber an erster Stelle natürlich wegen der Arbeit im Labor“, meint Markus Göthel augenzwinkernd. Die Nachwuchsgruppe „Immuntechnologie“ entwickelt intelligente und effiziente Verfahren, mit denen sich hochwertige Antikörper in kurzer Zeit und erstmals außerhalb von Versuchstieren, also künstlich im Labor, herstellen lassen. „In der modernen Medizin“, sagt Markus Göthel, „werden Antikörper auch in Testsystemen genutzt, da sie zielgerichtet die Eiweiße von Bakterien identifizieren und sogar die für Krankheiten charakteristischen Eiweiße erkennen können. Deshalb sind weltweit immer mehr Antikörper in immer besserer Qualität gefragt.“

Antikörper mit Doktorhut

Für seine Doktorarbeit hat Markus Göthel verschiedene Technologien miteinander kombiniert, um einen Antikörper zu entwickeln, der gezielt das charakteristische Eiweiß von Legionellen erkennt. Ob Wasserleitungen mit diesen hochgefährlichen Keimen befallen sind, sei etwa für Hotelbetreiber, Hausbesitzer oder Lebensmittelproduzenten wichtig zu wissen, um zielgerichtete Maßnahmen einzuleiten, sagt der 33-Jährige. Seine „Doktormutter“ ist die Biologin Katja Hanack. Ihre Professur für Immuntechnologie wurde durch das InnoProfile-Transfer-Programm des Bundesforschungsministeriums gefördert und wird derzeit von der Uni weiterfinanziert. Die jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler um Katja Hanack haben Technologien entwickelt, mit deren Hilfe sie Antikörper viermal schneller herstellen als mit den aufwändigen Standard-Verfahren.

„Von diesen Forschungsergebnissen habe ich für meine Doktorarbeit sehr profitiert“, sagt Markus Göthel und bringt den Namen SELMA ins Spiel. Nicht etwa eine Freundin hat ihm da geholfen, sondern das bislang weltweit einzigartige Antikörper-Screeningsystem, das die Potsdamer Forscherinnen und Forscher so getauft haben. SELMA, leitet sich von „Selection Monoclonal Antibody“ab. Das Verfahren findet in einem Nährmedium möglichst viele Zellen, die den gesuchten Antikörper produzieren. Diese Zellen können dann eine große Menge der gewünschten Antikörper in extrem kurzer Zeit herzustellen. „Ich kann dank dieser Screening-Strategie gezielt und schnell die Antikörper produzieren, die die Legionellen erkennen“, sagt Göthel.

Forschung für die Anwendung

Gerade wegen dieser anwendungsorientierten Forschung war er 2014 von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) zum Masterstudium nach Potsdam gewechselt. Die Betreuerin seiner Bachelorarbeit hatte bei Professorin Hanack studiert und ihm die Uni wärmstens empfohlen. „Es sind bislang immer Personen, die meinen Entwicklungsweg beeinflussen“, meint der gebürtige Dresdener. In seiner Schule dort hatte es eine Lehrerin geschafft, ihn so sehr für Biologie zu begeistern, dass es an seinem Studienwunsch „Biotechnologie“ nichts zu rütteln gab. Der erste Studienort Hamburg sei eine emotionale Entscheidung nach einem Familienausflug gewesen, erzählt Göthel. Nach dem Bachelor-Studium habe er gewusst, dass ihn die reine Grundlagenforschung nicht erfüllt.

Nun entwickelt er Antikörper, die in Diagnostik und Therapie zum Einsatz kommen – und ist damit glücklich; auch damit, dass er ins Team von NeuroMiR geholt wurde. Das Forschungsbündnis aus Wirtschaft und Wissenschaft will ein Testsystem entwickeln, das mit Hilfe einer einfachen Blutprobe Hinweise auf eine mögliche Demenzerkrankung geben soll. „Eine verlässliche Diagnose von Demenz ist bislang nur durch eine Untersuchung der Knochenmarksflüssigkeit möglich, was mit einer aufwändigen und für die Patienten beschwerlichen Prozedur verbunden ist“, erklärt Markus Göthel. Das neue Testsystem solle helfen, die für diese Krankheit charakteristischen Eiweiße schon im Frühstadium zu erkennen, um den Krankheitsverlauf noch beeinflussen zu können. NeuroMiR wird innerhalb des „Regionalen unternehmerischen Bündnisses für Innovation – RUBIN“ vom Bundesforschungsministerium gefördert. Das NeuroMiR-Antragskonzept hatte Markus Göthel mit erarbeitet.

Digitales Labor

„Die Fachwelt weiß unsere Forschungen zu würdigen. Aber der allgemeinen Bevölkerung ist gar nicht so einfach zu vermitteln, was wir hier machen“, sagt der junge Wissenschaftler. Gerade jetzt lerne er – vielleicht auch durch die Corona-Pandemie – wie wichtig Wissenschaftskommunikation ist. Sein Vater zum Beispiel, der in Dresden als Flugzeugmechaniker gearbeitet hat, kenne sich bestens in seinem Werkzeugkasten aus, aber kaum in der Biologie. Dennoch möchte er verstehen, was sein Sohn beruflich macht. „Wenn ich ihm meine Arbeit erkläre, suche ich nach Gleichnissen für unser beider Arbeitswelten“, erzählt Göthel. „Bei der Suche nach einer bestimmten Schraube, kann die passende Mutter ein Fänger sein. Wenn ich im Blut das für Demenz charakteristische Eiweiß suche, ist der speziell dafür entwickelte Antikörper der Fänger.“

Speziell für das NeuroMiR-Testsystem werden in dem Forschungsvorhaben unter anderem die entsprechenden Antikörper entwickelt. Die Qualität, also die Bindungsfähigkeit dieser neuen Antikörper, wird von einem neuen digitalen Laborgerät gemessen. Das konnte im Rahmen der BMBF-Förderung angeschafft werden. „Um dieses Gerät einzurichten“, erzählt Markus Göthel nachhaltig beeindruckt, „haben wir uns eine VR-Brille aufgesetzt und sind im virtuellen Raum den Anleitungen des Spezialisten gefolgt.“ Das Für und Wider dieses digitalen Serviceangebotes sei natürlich auch Gesprächsthema an der Kaffeemaschine im realen Raum gewesen, zumal gerade eine Kollegin ihre Doktorarbeit im virtuellen Raum verteidigt hatte. Der Vorteil sei, ohne Reiseaufwand aus großer Entfernung teilnehmen zu können, meint Göthel. Aber spannend finde er die digitalen Treffen nicht. Ihm fehle die menschliche Begegnung mit allen Sinnen. Darum sei er ein großer Fan von Science Slams, den unterhaltsamen wissenschaftlichen Kurzvorträgen in Kneipenatmosphäre. „Ich selber habe mich noch nicht getraut“, gesteht er. „Aber wer weiß, vielleicht wächst mein Zutrauen ja mit der Verteidigung meiner Doktorarbeit.“

Weitere Informationen