„Viele Landwirte sind neuer Technik gegenüber sehr aufgeschlossen“
Der Landwirt Heinrich Heitmüller und der Hochschulprofessor Mark Vehse haben ein gemeinsames Ziel: Mit dem Innovationsbündnis „ArtIFARM“ entwickeln sie digitale Lösungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Ein Gespräch über digitales Düngen, die Akzeptanz neuer Technologien und den schönsten Beruf der Welt.
Morgens um fünf in den Stall und die Tiere versorgen, danach mit dem Traktor aufs Feld – und das jeden Tag und bei jedem Wetter. Erkennen Sie sich in diesem stereotypen Bild des Landwirts wieder?
Heitmüller: Das sieht bei mir etwas anders aus, da ich ja keine Tiere im Stall habe. Ich baue Weizen, Gerste, Raps, Dinkel und Ackerbohne an. Morgens um sieben treffe ich meine zwei Mitarbeiter in der Werkstatt und teile die Arbeit ein. Jetzt im November steuern wir auf eine ruhige Zeit zu. Doch im Frühjahr geht die Feldarbeit dann wieder los: Dünger streuen, die Pflanzen schützen und aussäen. Für mich steht auch viel Bürokram und Organisatorisches auf dem Tagesplan, aber ich gehe auch selber aufs Feld.
Mit welchen Herausforderungen kämpfen Sie und die anderen Landwirtinnen und Landwirte hier in der Region?
Heitmüller: Um die Umwelt zu schonen, müssen wir Dünge- und Pflanzenschutzmittel effektiver und zielgerichteter einsetzen. Das ist eine unserer größten Herausforderungen. Beim Düngen unterstützen uns zwar schon heute Satellitenaufnahmen. Darauf sind die Pflanzen, die auf dem Feld wachsen, farbig dargestellt. So kann ich den Unterschied im Wachstum der Pflanzen auf der Karte erkennen. Danach entscheide ich, wie viel ich düngen muss. Aber das ist noch sehr grob.
Herr Vehse, wie können Wissenschaftler wie Sie die Landwirtinnen und Landwirte unterstützen?
Vehse: Wir müssen erst einmal die Probleme und den Bedarf vor Ort verstehen. Deshalb planen wir Workshops, in denen Forschende und Studierende mit Landwirten und Landwirtinnen diskutieren. Auf dieser Basis können wir dann Projekte definieren, in denen wir gemeinsam mit den Landwirtinnen und Landwirten und den Unternehmen technologische Lösungen erarbeiten. Und schließlich müssen wir den Anwendern ein konkretes technisches Hilfsmittel in die Hand geben, das sie in ihrem Alltag unterstützt.
Inwieweit könnten solch technische Hilfsmittel Ihre Arbeit erleichtern, Herr Heitmüller?
Heitmüller: Es wäre gut, wenn digitale Technik oder Künstliche Intelligenz die Düngung bzw. den Pflanzenschutz weiter verfeinern und automatisieren würde. Wenn dann noch meine persönliche, jahrelange Erfahrung mit den objektiven Messdaten von meinen Feldern digital zusammengeführt und ausgewertet würde, wären wir einen großen Schritt weiter. Wir fahren im Frühjahr so viel mit dem Trecker über das Feld, da könnten wir viele Daten sammeln. Auf dieser kombinierten Datenbasis könnte ein digitales System dann die Düngemittel gezielt dort einsetzen, wo sie benötigt werden. Ich würde mir auch eine automatisierte Pflanzenschutzspritze wünschen, bei der ein Kamerasystem die schädlichen Unkräuter erkennt und dann gezielt darauf die Mittel versprüht. Dadurch könnte ich auch künftig die gesetzlichen Vorgaben einhalten, die Umwelt schonen und Kosten sparen – ohne dass die Erträge sinken.
Vehse: Deshalb beschäftigen wir uns bei ArtIFARM zum Beispiel auch damit, Pflanzen auf Basis Künstlicher Intelligenz digital zu erkennen. Es gibt heute schon Systeme, die das tun. Allerdings unterscheiden sie nur zwei Kategorien: Grünen Pflanzen geht es gut, braunen geht es schlecht. Präzisere Technik könnte auch Zwischenstufen erkennen. So können Pflanzenschutzmittel künftig individuell für jede Pflanze auf dem Feld berechnet und mit der automatisch gesteuerten Pflanzenspritze versprüht werden.
Mit dem WIR!-Bündnis wollen Sie die Digitalisierung in der Landwirtschaft im Nordosten Deutschlands vorantreiben. Was genau ist das Besondere an ArtIFARM?
Vehse: Der Nordosten Deutschlands ist eine von der Landwirtschaft stark geprägte Region. Doch wir haben hier kaum Unternehmen, die die Technik dafür entwickeln. Es gibt die Hochschulen, die die Ingenieurinnen und Ingenieure ausbilden; wir haben kleine Unternehmen, und auch die IT-Branche ist stark vertreten. Es sind eigentlich alle relevanten Akteure vor Ort. Doch bisher arbeiten sie noch nicht ausreichend zusammen. Sie alle gilt es jetzt zusammenzubringen, um Kreativität zu entfalten und neue Technologien zu entwickeln. Viele sind motiviert, dieses Thema anzupacken. Im Idealfall könnte sich in der Region eine neue Branche etablieren, die den Bau landwirtschaftlicher Maschinen und den IT-Bereich zusammenführt.
Welche Rolle spielen dabei die Unternehmen?
Vehse: Es ist für uns sehr wichtig, die kleinen und mittleren Unternehmen in der Region einzubinden. In einem gerade gestarteten Forschungsprojekt zu Big Data – also riesigen und komplexen Datenbeständen – engagieren sich drei kleine IT-Unternehmen. Wir wollen gemeinsam die riesigen Mengen an gespeicherten Daten der verschiedenen Landwirte strukturieren und zusammenführen. Grundsätzlich haben wir uns das Ziel gesetzt, in jedem Forschungsprojekt gleich viele Partner aus Landwirtschaft, Wissenschaft und dem Unternehmenssektor einzubinden.
Warum engagieren Sie sich bei ArtIFARM?
Heitmüller: Bei ArtIFARM kann ich von Anfang an dabei sein und meine Ideen einbringen – noch bevor ein Gerät entwickelt wird. Darin sehe ich eine große Chance. Es tut auch gut, dass die Landwirtschaft hier vor Ort mit dieser Einbindung gewürdigt wird und wir uns gemeinsam weiterentwickeln können.
Vehse: Wir wollen wissenschaftlich arbeiten, Landwirtinnen und Landwirte unterstützen und gleichzeitig die Region voranbringen! Unser Fernziel ist es, die Technik so weit zu entwickeln, dass sie eines Tages auch hier in der Region produziert wird.
Neue Technologien setzen sich nur dann durch, wenn sie auch akzeptiert werden. Wie ist die Akzeptanz bei den Landwirtinnen und Landwirten und in der Bevölkerung?
Heitmüller: Die Landwirtinnen und Landwirte, die in die Zukunft schauen und weitermachen wollen, sind neuer Technik gegenüber sehr aufgeschlossen. Das sind gut ausgebildete Unternehmerinnen und Unternehmer, die Spaß und Interesse an ihrer Arbeit haben. Manche von ihnen haben schon heute Traktoren, die satellitengesteuert über das Feld fahren.
Vehse: Die Landwirtschaft hat sich verändert. Was heute auf den Feldern passiert, passt nicht mehr zum traditionellen Bild. Was wir entwickeln, müssen wir deshalb auch in der breiten Bevölkerung kommunizieren. Wenn irgendwann Drohnenschwärme über die Felder fliegen sollen, müssen die Menschen vorher wissen, was da passiert. Dafür planen wir Veranstaltungen, in denen Landwirte und Forschende den Menschen vor Ort zeigen, welche modernen Technologien sie entwickeln und einsetzen.
Mit dem Thema Digitalisierung tun sich gerade junge Menschen oft leicht. Trotzdem haben viele Höfe Schwierigkeiten, Fachkräfte oder Unternehmensnachfolger zu finden.
Heitmüller: Es ist tatsächlich schwierig, Leute zu finden. Ich brauche wenige gute Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, die aber auch gut verdienen müssen, damit es ein attraktiver Job ist.
Vehse: Der Prozess ist so ähnlich wie in der Industrie: Einfache Arbeitsplätze für monotone Routinetätigkeiten fallen durch die Automatisierung weg. Die qualifizierteren Arbeitskräfte müssen heute diese Prozesse überwachen. Trotzdem wird es durch den demografischen Wandel schwierig werden, qualifizierten Nachwuchs zu bekommen. Deshalb ist es auch so wichtig, ein modernes und zukunftsfähiges Bild der Landwirtschaft zu vermitteln.
Wo sehen Sie die Landwirtschaft in der Region Nordost in zehn Jahren?
Vehse: Ich hoffe, wir haben ganz viele neugierige Landwirtinnen und Landwirte, die für neue Technologien offen sind und sich am Innovationsprozess beteiligen. Wir dürfen in unserem fünf fünfjährigen Förderzeitraum nur Demonstratoren entwickeln und keine fertigen Produkte. In zehn Jahren sind dann aber hoffentlich die ersten Produkte, die hier entwickelt wurden, auf dem Markt.
Heitmüller: In zehn Jahren werden wir viel mit Schwarmtechnik arbeiten, also mehreren kleineren Robotern, die über das Feld fahren. Ich müsste die autonomen Fahrzeuge dann nur noch im Blick haben. In zehn Jahren wird also nur noch ein Mensch, aber dafür viel Technik auf den Feldern sein.
Würden Sie einem jungen Menschen heute empfehlen, Landwirtin oder Landwirt zu werden?
Heitmüller: Natürlich! Das ist der schönste Beruf, den es gibt, das finde ich nach wie vor. Der Beruf des Landwirtes ist extrem vielseitig: Ich habe mit der Natur zu tun, mit Technik, mit Biologie, ich beschäftige mich mit kaufmännischen Aufgaben und mit rechtlichen Fragestellungen. Und: Wenn man Landwirtschaft studiert hat, kann man in jede Branche gehen, weil das Studium so viele unterschiedliche Fächer und Inhalte abdeckt.