Ein Thema – drei Perspektiven

Wir haben einem Wissenschaftler, einem Bürgermeister und einer Unternehmerin eine entscheidende Frage gestellt: Was ist eigentlich Strukturwandel? Zum Vorschein kamen dabei unterschiedliche Perspektiven, aber auch die gemeinsame Erkenntnis, dass Strukturwandel für viele Menschen und Regionen Erfordernis, Herausforderung und Chance zugleich darstellt.

Joachim Ragnitz
© Klaus Gigga

Joachim Ragnitz ist stellvertretender Leiter des ifo Instituts in Dresden und einer der bekanntesten Experten für den Strukturwandel. Er betont, dass der Begriff "Strukturwandel" oft negativ wahrgenommen wird. In seiner Forschung beschäftigt er sich intensiv mit den Herausforderungen und Chancen, die dieser Wandel mit sich bringt.

„Das Bessere ist der Feind des Guten, so sagt man leicht dahin – aber das bedeutet eben auch, dass das gestern noch Gute nicht länger bleiben kann. Jegliche wirtschaftliche Entwicklung geht deshalb mit Veränderungen der Wirtschaftsstruktur einher. Probleme macht dies nur, wenn Menschen, die ihren Job in schrumpfenden Bereichen verlieren, keine passende neue Arbeit finden. Das ist aber in den meisten Fällen nicht der Fall – auch wenn die notwendigen Anpassungsprozesse manchmal Zeit brauchen oder eine berufliche Neuorientierung erfordern. Strukturwandel kann deswegen für den Einzelnen unbequem sein, für die Gesellschaft insgesamt ist er aber positiv.

Eine moderne Wirtschaftspolitik wird also nicht versuchen, den Rückgang von Branchen zu stoppen, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind, sondern sie wird das Neue unterstützen. Neues entsteht häufig (wenn auch nicht immer) durch Innovationen, sodass hier die Forschungspolitik gefragt ist. Für die Marktdurchdringung des Neuen sorgen vor allem junge Unternehmen, sodass hier die Gründungsförderung gefragt ist. Und für die Festigung des Neuen bedarf es ausreichend vieler entsprechend qualifizierter Arbeitskräfte, sodass hier die Bildungs- und die Arbeitsmarktpolitik gefragt sind. Und für individuelle Notlagen steht nach wie vor die Sozialpolitik unterstützend zur Seite. Deswegen: Vor dem Strukturwandel braucht niemand Angst zu haben.“

Martin Papke
© Stadt Weißenfels

Martin Papke ist Oberbürgermeister der Stadt Weißenfels und engagiert sich besonders für nachhaltige Bauweisen. In Zusammenarbeit mit dem WIR!-Bündnis „GOLE(H)M“ setzt er sich für die Förderung des Lehmbaus in Weißenfels ein, um lokale Ressourcen zu nutzen und die Stadt ökologisch weiterzuentwickeln.

„In der Stadt Weißenfels befinden wir uns seit Jahrzehnten in dynamischen Transformationsprozessen, die tiefgreifende Veränderungen mit sich brachten. Gleichzeitig gestalten wir den durch den Kohleausstieg ausgelösten Strukturwandel in Weißenfels aktiv mit. Ein zentrales Ziel dieses Wandels ist für mich die Stärkung unserer Stadtgesellschaft und der bürgerlichen Mitte, um Weißenfels als attraktiven Lebens- und Arbeitsort weiterzuentwickeln.

Der Lehmbau kann hierbei eine wichtige Rolle einnehmen und zugleich einen Beitrag im Klimaschutz leisten. Durch das Konzept „Alles-an-Ort-und-Stelle“ wollen wir lokale Ressourcen optimal nutzen. Das Material Lehm, das handwerkliche Können und die Expertise der Verwaltung befinden sich vor Ort. Als Stadt bündeln wir diese Standortvorteile, um Arbeitsplätze zu schaffen und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Weiterhin sind gezielte Grunderwerbvergünstigungen für den Lehmbau und eigene kommunale Projekte essenzielle Schritte, um unsere Vision zu realisieren. Gemeinsam werden wir eine erzählenswerte Geschichte formen, die die Stärken von Weißenfels aufzeigt. Lehm soll nicht nur als Baustoff, sondern auch als Symbol für nachhaltige Entwicklung und soziale Integration wahrgenommen werden.

Insgesamt bietet der Strukturwandel in Weißenfels eine enorme Chance. Wir gestalten eine zukunftsfähige, inklusive und innovative Stadt, in der Bürgerinnen und Bürger aktiv teilhaben wollen und ihre Potenziale entfalten können.“

Jenny Orantek
© X.-Visual Technologies GmbH MR4B

Jenny Orantek ist Prokuristin bei der X-Visual Technologies GmbH und koordiniert das WIR!-Bündnis „MIXED REALITY FOR BUSINESS – MR4B“. Das Bündnis will mit Mixed-Reality-Anwendungen die digitale Transformation der Industrie in Berlin und Brandenburg gestalten. Durch die Technologien können regionale Unternehmen virtuelle Welten erschaffen und die reale Welt um digitale Elemente erweitern.

„Strukturwandel ist in Berlin nichts Neues. Sich verändernde politische Rahmenbedingungen und äußere Einflüsse haben den Menschen hier schon immer große Anpassungsleistungen abgefordert. Wir als Unternehmen mussten uns in den vergangenen 20 Jahren in diesen von vielen Umbrüchen geprägten Zeiten kontinuierlich wandeln und neu aufstellen, um neue Herausforderungen meistern zu können. Unternehmen, Menschen und vielfältige Akteure in der Region dürfen dabei nicht das Gefühl haben, dass sie mit einer Vielzahl von Anforderungen allein gelassen werden – dies mündet in Überforderung, innerer Abkehr und äußerer Abwanderung.

Wir haben gelernt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Anfang an mit auf den Weg zu nehmen. Denn um den Wandel in der Region aktiv mitzugestalten, bedarf es einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Wir als Unternehmen orchestrieren die einzelnen Aktivitäten im WIR!-Bündnis Mixed Reality For Business, um eine Kompetenzregion für Mixed Reality in der Industrie zu entwickeln. Dafür bündeln vielfältige regionale Akteure ihre Kompetenzen und stellen ihr Wissen allen zur Verfügung. Besonders wichtig ist uns, dass in diesem Prozess die Kompetenzen aller Akteure weiterentwickelt und diese zu innovativem Handeln ermutigt und befähigt werden.“

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